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Zwei Meter Gefühl

■ Glücklicherweise ein Steher: der knorrige Screaming-Trees-Sänger Mark Lanegan und sein Solo-Album „Scraps At Midnight“

er Mann hat etwas von einem Baum. Einem schreienden Baum. Bei seiner Band, den Screaming Trees, stand der Zwei-Meter-Mann stolz und unverrückbar vor dem Mikro, aber aus seinem Inneren ächzte und seufzte es. So richtig angesehen hat man es dieser massiven Gestalt nie, aber über die Jahre sind in ihr unfaßbare Mengen an Drogen verschwunden. Um so dankbarer darf man sein, daß es Lanegan noch gibt.

Seine Screaming Trees existierten schon, da bezeichnete Grunge noch keinen Musikstil. Ob das G-Wort nun Fluch oder Segen für diesen Haufen von Freaks aus dem äußeren Nordwesten der USA gewesen ist, läßt sich schwer sagen. Nach vier Alben für das SST-Label, die zweifellos immer noch zu ihren besten zählen, waren sie Ende der Achtziger auf einmal ganz unverhofft Teil des Grunge-Zirkus und tourten mit Bands wie Alice In Chains, die damals nicht wenige für die Verkünder einer neuen Religion hielten. Aber Religionen sind ja auch nicht mehr das, was sie einmal waren: Grunge war plötzlich vorbei, und die Screaming Trees standen irgendwann als Mainstream-Band unseres Vertrauens da, jedoch ohne Plattenvertrag. Um so erfreulicher, daß sich Mark Lanegan die Zeit bis zur nächsten Festanstellung mit Solo-Aktivitäten vertreibt. Schon früher hatte er nebenbei im Alleingang den opulenten psychedelischen Rock der Screaming Trees auf Kammerformat gestutzt. Auf dem Cover seines famosen Winding Sheet etwa leuchtet dieser knorrige Koloß nicht nur wie ein Holzscheit, auf Platte klang er auch so: Die Songs knarrten unheimlich – und wärmten.

Scraps At Midnight, das neue Solo-Album, kommt da nicht ganz mit. Zwar steht Lanegan ein weiteres Mal der beschlagene Dinosaur-Jr.-Bassist Mike Johnson zur Seite, der heute im Vorprogramm auch eigene Songs darbieten wird, doch allzu oft verlieren sich die Musiker in konventionellem Folkrock-Geklingel – von dem Song „Wheels“, der an Souled American erinnert, einmal abgesehen. Der Weg in die Grindelallee wird trotzdem empfohlen, denn wann stehen sonst schon mal zwei Meter Gefühl auf der Bühne.

Christian Buß

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