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Wenn Jungs Krieg spielen

„Fahne erobern oder alle abschießen“: Paintballspieler leben mit einem militaristischen und rechtsradikalen Image, aber Richter meinen, Geschmack ist Privatsache  ■ Von Marcus Franken

Im Brandenburger Forst knallt es mal wieder gewaltig: Tak-tak- tak. Kopf runter, Hintern einziehen und platsch: Hinter die nächste Fichte. Orange und grüne Kügelchen fliegen durch die Luft. Zischen dicht an den Ohren vorbei und platzen an Baumstämmen, Sträuchern, Barrikaden. Klaus Schlicht* liegt im Holunderbusch und sucht dem Kugelhagel zu entkommmen. Plötzlich rennt der Gegner los, schießt schon im Laufen, wirft sich hin, nimmt ihn unter Dauerfeuer. Zwanzig Schuß ins Ungefähre: Und getroffen.

„Ja, is o.k., Scheiße.“ Mit einem dicken Farbklecks auf der Tarnjacke hieft der dicke Klaus sich aus dem dürren Unterholz. Verschwitzt muß er sich eingestehen, daß die Runde für ihn vorbei ist. Seine vier Mitspieler müssen jetzt in Unterzahl zurechtkommen. Ihr helles tak-tak-tak füllt das unübersichtliche Waldgrundstück im Nordosten Berlins.

Samstag nachmittag, am Bunkerberg von Garzau: Gut 30 Jugendliche treffen sich hier regelmäßig auf der Paintball-Anlage. Das Spiel, das sie hier spielen, wird auch Gotcha genannt nach dem Ruf: I got you, ich hab' dich. Auf einem abgesteckten Feld liefern sich zwei Mannschaften einen Minuten-Kampf mit zentimetergroßen Farbkugeln und Luftdruckgewehren, sogenannten Soft-Air-Waffen. „Entweder die Fahne der anderen erobern oder alle abschießen“, faßt der ausgeschiedene Klaus Gotcha zusammen. Seine Ausrüstung: Bunter Teamanzug, Gesichtsmaske, Handschuhe. Doch sein besonderer Stolz ist die große, silberne „Gun“ mit dem unförmigen schwarzen Magazin, das die mit Lebensmittelfarbe gefüllten Gelantinekugeln enthält, und von der Schläuche zur Gasflasche auf dem Rücken führen. Beinahe 2.000 Mark hat Klaus sich sein Arsenal kosten lassen. Die Anfänger am Bunkerberg können sich dagegen ihre Waffen für das Wochenende ausleihen und treten in billigen, aber martialischen Bundeswehr- und NVA- Klamotten auf.

„Wehrsport“ ist darum das übliche Klischee, mit dem sie leben müssen. Der Deutsche Sportbund (DSB) schimpft: „Gotcha ist kriegsverherrlichend“. Für den Verband in Frankfurt am Main verstößt das Spiel gegen die „ethischen Regeln“, und viele Politiker schließen sich da an: „Paintball ist menschenverachtend und verharmlost Gewalt in unverantwortlicher Weise“, stellt der Bundesrat auf Initiative Bayerns fest und will das „Killer-Spiel“ verbieten. „Der perverse Kampf Mann gegen Mann ist mit unserer Werteordnung nicht verreinbar“, poltert Bayerns Innenminister Beckstein, aufgeschreckt durch die Beschwerden braver Wochenendspaziergänger, und weiß sich dabei in seltener Einigkeit mit Politikern quer durch alle Parteien. Durch Paintball, so findet er, wird die „Hemmschwelle der Gewaltanwendug abgebaut“.

Für die Spieler der rund 60 Teams, die in ihren Regionalligen alle paar Wochen um Treffer, Punkte und Medaillen rennen, ist das natürlich Quatsch. Zu Unrecht sehen sie sich in die Ecke der Militanten und Rechtsextremen gedrängt, vom profiliersüchtigen Politikern mißbraucht und von der Presse mißverstanden. „Gotcha ist eher ein Strategiespiel wie Schach“, findet Marcus, weil es darum ginge, die anderen mit einer guten Taktik Matt zu setzen. Außerdem spricht er von dem „Adrenalkick“, den er beim Auflauern, Schießen und Beschossenwerden verspürt. Auch der 18jährige Jörg Randloff aus Berlin-Prenzlauer Berg, der jetzt mit orangenen Flecken auf dunklem Hemd angestackst kommt, wehrt sich gegen den Vorwurf, einen Anziehungspunkt für rechte Militaristen zu bieten. „Persönlich bin ich eher links“, betont er und hilft, wie zum Zeichen seiner pazifistischen Grundhaltung einer vorbeihüpfenden Kröte ins schützende Gebüsch. Rechte gebe es beim Paintball so viele wie anderswo auch, aber mit denen wollten die meisten Paintball-Spieler nichts zu tun haben. Und politische Agitation sei in Garzau verboten.

Jörg sieht kein Problem darin, mit einem Luftgewehr auf Freunde zu schießen. Schlimmstenfalls könne die Gelantinekugel den Gegnern ein paar blaue Flecken machen „Ich hätte deutlich mehr Hemmungen jemandem beim Boxen eine aufs Maul zu hauen.“

Auch in den Newsgroups des Internet finden sich immer wieder Studenten, Zivildienstleistende, Siemens-Angestellte und Berliner Finanzbeamte unter den Paintball- Spielern, die ihren Sport verteidigen, indem sie auf andere Kampfsportarten verweisen. Besonders Fechten, meinen sie, wäre doch wohl ein ziemliches Gemetzel, wenn da nicht die Helme und Weichteilschoner wären.

Den verbotswilligen Politikern hat das Verwaltungsgericht Regensburg erst mal eine Denkpause verordnet: Wenn sich Menschen darauf einlassen, sich gegenseitig mit Gelantinekugeln zu beschießen, so haben die Richter festgestellt, dann verletzt das nicht die Menschenwürde. Die „körperliche Unversehrtheit“ sei durch Masken und Ausrüstung gewährleistet. Anders als „beim Boxsport, bei dem der Gegner absichtlich durch Faustschläge verletzt wird“. Auch der Abbau der Hemmschwelle gegenüber Gewalt sei eine „durch nichts bewiesene Hypothese“. Genausogut sei es möglich, daß das Spiel ein Ventil biete, um Aggressionen abzubauen. Paintball, so folgern die Richter, könne man zwar als Geschmacklosigkeit betrachten – aber Geschmack sei letztlich Privatsache.

Das sieht auch Katrin Wirbel so. Sie ist mit ihrem Freund zum Bunkerberg gekommen, der den Spielbetrieb organisiert und mit einem Kollegen die Felder vermietet. Gelangweilt steht sie hinter den Fangzäunen außerhalb der Spielfelder und kann den jungen Männern mit ihren blitzenden Waffen, ihrem Geballer und Wochenendkampf wenig abgewinnen. „Ich find' das voll bescheuert“, meint sie. Militaristisch sei das Ganze zwar nicht. Den Jungs ginge „es wohl mehr um die Technik“. Und ihr Männergehabe: Wer hat die beste Wumme? Wo gibt es billige Kugeln? „Die stehen ja mehr rum und fachsimpeln als daß sie rennen“, meint Katrin abschätzig. Dann stellt sie sich wieder in die Sonne, dreht den Rambos den Rücken zu und wartet auf ihren Freund, damit sie endlich fahren können.

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