Die Vorschau
: Eklige Küsse auf Umwegen

■ Im Überseemuseum kann man am Sonnabend einen ganzen Tag lang über „Tischsitten“ debattieren und zubeißen

Veranstalterin des eintägigen Symposiums zum Thema „Tischsitten“ ist Andrea Sick vom FrauenKulturhaus TheaLit. Essen und Frauenkulturhaus, klare Sache: Es wird wohl um Schlankheitswahn, Freßsucht und die Knechtung der Frau durch den Herd von der Steinzeit bis heute gehen. Tut es aber nicht.

Die Kulturwissenschaftlerinnen von TheaLit sind seit jeher eher wenig an altbekannten soziologischen und historischen Verortungen interessiert. Stattdessen lieben sie die künstlerische Annäherung an ein Thema und reflektieren andererseits gerne über Phänomene medialer Vermittlung. Und so gibt es statt Tips gegen Eßprobleme einen Kurzfilm über das mühselige, kurze Leben zweier Frühstücks-croissants und Verweise auf McLuhan, Lacan und die französische Postmoderne – zum Beispiel. Essen wird als synästhetisches Kunstwerken aufgefaßt. Deshalb geht es immer auch um Tasten, Riechen und Sehen.

Unbestrittener Höhepunkt wird die „Kauparty“ der in München lebenden Kanadierin Angela Dorrer sein. Bei dieser kollektiven Performance wird der Gast weder mit rohem Fleisch beschmissen noch naßgespritzt. Er soll lediglich ein Plätzchen formen, und zwar mit dem eigenen Mund statt mit der Plätzchenform.

Außerdem darf er das fertiggebackene Ergebnis eines anderen Teigbildhauers aufessen. Andrea Sick erzählt, daß schon der winzige Moment, in dem der liebevoll geformte Teigbatzen aus dem Mund herausmanövriert wird, für viele Menschen ausgesprochen peinigend ist. Asphalterprobte Kaugummiausspucker sind bei diesem Selbstexperiment eindeutig im Vorteil.

Andrea Sick selbst spu(k)ken bei jeder Erinnerung an ihre letzte Kauparty unerquickliche Bilder von blasenverseuchter Haut und anderen Krankheiten durch den Kopf. Der Mensch ist eben ein Knödel aus Vorurteilen, Ängsten und Tabus. Ein Besucher von Dorrers Internet-Webside assoziierte zum Plätzchentausch eher einen Kuß, der Umwege geht.

Viele Begriffe rund ums Essen wurden auf psychologische oder ästhetische Gebiete übertragen: der Hunger nach Liebe, der gute Geschmack, das Einverleiben von Wissen. Vielleicht funktioniert ja Denken manchmal nach den Mustern der Nahrungsaufnahme. Deshalb wird bei diesem Symposium immer wieder die Grenze des Tellerrandes übersprungen, Theorie und Kochpraxis zusammengerührt.

Mit Diavorträgen einer „Interaktion“, bei der Andrea Sick mysteriös „etwas Eßbares“ verspricht, und einem Vortrag über den s.f.-Film „Invasion of the body snatchers“ dürfte das Symposium die Gestalt eines vielschichtigen Gemüseauflaufs annehmen. bk/Foto: A.K.

17. Oktober, 10 bis 19 Uhr im Überseemuseum. Kauparty, 21 Uhr im KünstlerHaus, Am Deich. Anmeldung nicht notwendig. Kontakt: Tel.: 701632; 40/25 Mark. Einzelvorträge / Aktionen zehn Mark