: Strategie war nicht sein Ding
Nach 16 Jahren in Berlin darf CDU-Wirtschaftssenator Elmar Pieroth abtreten. Er signalisierte Lustlosigkeit, seit er kein Mittel gegen die Arbeitslosigkeit mehr fand ■ Von Hannes Koch
Berlin (taz) – Den bundesweiten Durchbruch schaffte CDU- Wirtschaftspolitiker Elmar Pieroth 1985. Sein Name ging wochenlang durch die Nachrichten, denn der Glykol-Skandal war ein Topthema in bundesdeutschen Wohnzimmern.
Das Weinhandelshaus Pieroth aus Bad Kreuznach hatte jahrelang Millionen Liter Wein mit dem Frostschutzmittel Glykol versetzt. Manager wurden entlassen, das Unternehmen stand kurz vor der Pleite, doch für Firmensproß und Miteigentümer Elmar Pieroth endete der Prozeß wegen Betrugsverdachts mit Freispruch. Die Affäre konnte die Karriere des bis dato gefeierten Wirtschaftsreformers nicht knicken.
Erst jetzt ist sie am Ende. Nach 16 Jahren im Berliner Senat legt Pieroth das Amt des Wirtschaftssenators nieder. Er hatte schon lange keine Lust mehr, doch CDU- Bürgermeister Eberhard Diepgen ließ ihn nicht gehen, weil kein akzeptabler Nachfolger in Sicht war. Nach der verlorenen Bundestagswahl jedoch brechen die Konflikte in der CDU auf, neue Gesichter sind gefragt, und Pieroth darf abtreten. Die Demission des Pfälzers ist auch ein Eingeständnis des Scheiterns christdemokratischer Wirtschaftspolitik in Berlin seit der Wende. Die enormen Strukturbrüche nach der Vereinigung der beiden Stadthälften ließen sich mit dem in den 80er Jahren erprobten Instrumentarium nicht bewältigen. Pierothsche Politik ruhte immer auf zwei Säulen. Erstens: Subventionen. Vor dem Fall der Mauer flossen sie reichlich, und nach der Wende gelang es dem Wirtschaftssenator, neue Töpfe der Europäischen Union anzuzapfen. Zweitens: die Förderung von Existenzgründungen und Unterstützung von Unternehmen. Pieroth pflegte einen Stil individualistischer Politik. War ein Unternehmen in Schwierigkeiten, ging er persönlich hin und danach auch zur Bank, um zu fragen, was man machen könne. Die Unternehmerpersönlichkeit und ihre Beziehungen waren für Pieroth der Dreh- und Angelpunkt seines Handelns. „Er ist ein begabter Smalltalker“, wissen selbst Kritiker. Und Werner Gegenbauer, Präsident der Berliner Industrie- und Handelskammer, war auch in den letzten Monaten noch voll des Lobes: „Der tut was, der reist bis nach Sibirien, um Kontakte zu knüpfen.“ Freilich war nicht zu übersehen, daß die alte Medizin gegen die Wirtschaftskrise nach 1992 nicht mehr anschlagen wollte. Mehrere hundertausend Stellen in den Berliner Industriebetrieben brachen ersatzlos weg, die Arbeitslosenquote sprang auf 16 Prozent. Zwar war auch Pieroths Amtsvorgänger Norbert Meisner (SPD) klar, daß die Landespolitik eine derartige Talfahrt kaum aufhalten kann, doch Pieroth unterließ mögliche Gegenmaßnahmen.
„Seine Papiere sind selten länger als eine Seite“, meint ein enger Mitarbeiter. Langfristige, strategische Überlegungen waren Pieroths Sache nicht. Die überließ er lieber anderen. Auch deshalb schwanke die Wirtschaftspolitik haltlos zwischen Visionen wie Olympiabewerbung, Dienstleistungsmetropole und Drehscheibe nach Osteuropa, meint der grüne Wirtschaftsexperte Vollrad Kuhn. Dafür blieb liegen, was machbar erschien. Zwar feierte Pieroth die Hautstadt gern als „Zentrum der Verkehrsindustrie“, doch auf ein Konzept für die moderne Vernetzung der Stadt mit dem Umland durch öffentlichen Nahverkehr muß man bis heute warten. Nicht nur Zulieferer, auch Konzerne wie Siemens und Adtranz machen sich mittlerweile Gedanken, ob weitere Investitionen in Berlin noch lohnen.
Nachdem Richard von Weizsäcker 1981 den damals 47jährigen Pieroth in den Senat holte, machte dieser unter anderem Furore, indem er eines der ersten Gründerzentren für kleine Hightechbetriebe auf den Weg brachte. Zehn Jahre später begann sein Stern zu sinken. Als Finanzsenator hätte Pieroth eigentlich draufzahlen müssen, sagt Michaele Schreyer, Finanzpolitikerin der Bündnisgrünen. Das Defizit des Landeshaushalts habe er bis kurz vor der Landtagswahl 1995 heruntergerechnet und seiner Nachfolgerin milliardengroße Löcher hinterlassen.
Daß Weinskandal, Finanzkrise und Wirtschaftsmisere Elmar Pieroth so lange nichts anhaben konnten, liegt nicht nur am schönen Schein der 80er Jahre. Im Osten der Stadt ist er einer der wenigen CDU-Politiker, die ernst genommen werden. Zu „Sofagesprächen“ traf er sich mit Berlins PDS- Chefin Petra Pau und verdammte CDU-Generalsekretär Hintzes Versuch, dieses Jahr eine neue „Rote-Socken-Kampagne“ aufzulegen. So gesehen verliert die Berliner CDU gerade den Falschen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen