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Szenen aus dem Buschkrieg

Es ist eine Landnahme eigener Art: die städtische Natur den Hunden, den Kindern der umzäunte Sandkasten. Und wenn Eltern dieses Land zurückverlangen? Dann ist Gemeinsinn plötzlich peinlich  ■ Aus Berlin Barbara Dribbusch

An die Sache müssen Profis ran: „Wir sind Campaigner“, sagt Nadia Rouhani. Die zweifache Mutter hat alles genau geplant. An diesem Samstagmorgen werfen die Eltern schmutzige Windeln auf die Wiese. Am Sonntag kleben sie im Kiez Zettel mit Hundedreck-Verbotsschildern. Am Montag besprühen Kinder die Häufchen mit buntem Lack. Am Dienstag ziehen Mütter auf Hundestreife durch den Park. „Es geht um maximale Medienwirkung“, sagt Rouhani, gelernte Fernsehjournalistin. Was soll man auch anderes machen?

„Kind fällt in Hundescheiße“ – damit ist noch niemand in die Zeitung gekommen. Also andersherum: Hund stapft in Kinderscheiße. An diesem Samstagmorgen sind ein paar Kameraleute da, die Zeitungen haben ihre Jungredakteure an den Lietzensee geschickt. Die Mütter und ein paar Väter von der Kiez-Initiative Charlottenburg packen die schmutzigen Kinderwindeln aus. „Weg mit dem Scheißdreck!“ rufen sie übertrieben laut. Die Windeln prasseln auf den Rasen, die Kameras von RTL, SAT 1 und ZDF zoomen hinterher.

So sähe es aus, wenn Eltern die Kacke ihrer Schützlinge genauso nicht entsorgen würden wie Hundehalter, lautet die Botschaft. Eine Kamera hält auf ein Bröckchen Kinderkacke drauf. Die Fernsehleute grinsen. Ein bißchen albern, das Thema. Genau das ist das Problem.

„Manche Politiker halten uns nur für eine hysterische Müttergruppe“, sagt Constanze Schweinsteiger, Doktorandin und Rouhanis Mitstreiterin, „das Thema wird nicht ernst genommen.“ Berlin hat eine der größten „Hundedichten“ in Deutschland. Doch in keinem Punkt klaffen Gesetz und Wirklichkeit weiter auseinander. In der Weltstadt gilt die Regel: die Straßenränder, Baumscheiben, Parkwiesen und Büsche den Hunden, die eingezäunten Spielplätze den Kindern. „Das ist Landnahme“, erklärt Schweinsteiger. Die Initiative im bürgerlichen Bezirk Charlottenburg will Land für die Kinder zurückgewinnen.

Im Krisengebiet. Nee, seinen Namen will das Elternpaar nicht nennen. „Wir stehen im Telefonbuch, das kann Ärger geben.“ Bei den Hundebesitzern könne man nie wissen, „da herrscht das Faustrecht“. Das Arztehepaar hat seinen drei Kindern verboten, im Lietzenseepark auf dem Rasen zu spielen. Wegen der Haufen, deren Reste die Eltern oft genug aus den Schuhsohlen schrubben mußten. Die Hunde tollen trotz Verbotsschildern im Park frei herum. „Das macht den Kindern Angst“, schildert die Mutter. Kein Versteckspiel im Gebüsch, kein Federball auf der Wiese. Die Kinder bleiben auf dem eingezäunten Spielplatz. „Seit ich in Berlin lebe, habe ich angefangen, Hunde zu hassen.“

Die Kinder in der evangelischen Kita an der angrenzenden Herbartstraße dürfen nur in strengen Zweierreihen in der Mitte des Bürgersteigs marschieren, wegen der Tretminen links am Zaun und rechts an den Bäumen. Und als die Gemeinde im Rondell ein Erntedankfest feiern wollte, wurden die Bänke wieder hereingestellt, als die ersten Sonnenstrahlen kamen. „Die Hundehaufen stanken zu sehr“, erzählt die Kitaleiterin.

140.000 Hunde gibt es in Berlin, fast so viele wie die 170.000 Vorschulkinder. 40 Tonnen Kot lassen die Köter täglich liegen, jeder Stadtreinigungsmitarbeiter kann die Zahl im Schlaf hersagen. In Neukölln hat rechnerisch fast jeder Straßenbaum seinen Hund. „Der Hund“ erklären Tierpsychologen, „gibt alleinstehenden Menschen das Gefühl, einen Lebenssinn, eine Verantwortung zu haben.“

Und Flo ist wirklich nett. Der schwarzweiße Jagdhund saust über den Rasen am Lietzensee. „Der tut nichts“, Hannelore Thomsen sagt den Standardsatz aller Besitzer. In Jogginghosen, Clogs und mit Sportrad kommt sie täglich in den Park. Flo macht an die Büsche. Laut Grünanlagengesetz vom November 1997 müßte die 53jährige jetzt hinterherrobben, mit Tütchen und so weiter. „Aber nee, da habe ich Hemmungen, Ekel. Ja, wenn das Kuhmist wäre!“ „Wie wär's denn, wenn das Kinderkacke wäre?“ fragen die Eltern kampfeslustig. Fast könnte einem Frau Thomsen leid tun.

„Was heißt hier ,wegräumen‘“? empört sich Richard Nicholson, Besitzer eines Labradors, „haben Sie etwa immer festen Stuhlgang?!“ Ein Gespräch mit Berliner Hundehaltern wird immer persönlich. Jeden Tag führt der 47jährige sein Haustier aus, da kennt man sich aus: Tütchen hin, Schäufelchen her, „wenn der Hund Durchfall hat, wie wollen Sie das Zeug aufheben?“

Flächendeckend, so Nicholson, müßte die Stadtreinigung Container aufstellen mit Wasserzugang, Eimern, Bürste und zweistündiger Entleerung, wegen der Coli-Bakterien. Solcherart infrastrukturiert, würden die Besitzer dann auch mal handeln. „Wofür zahlen wir schließlich 240 Mark Hundesteuer im Jahr? Da kauft sich die Finanzsenatorin Fugmann-Heesing nur einen neuen Mercedes für!“ Ja, die da oben.

Die Ordnungsmacht. Der Kontaktbereichsbeamte Egbert Kruschke ist nicht unbeliebt. Auch bei den Hundehaltern nicht. „Komm, Schätzchen“, sagt eine dralle Rothaarige und zieht ihren Highland Terrier hinter sich her. „Bin ich damit gemeint?“ fragt Kruschke jovial. „Na Tag!“ Man kennt sich. Der Hund ist angeleint, der Haufen auch an diesem Montagmorgen schon längst irgendwo anders im Lietzenseepark abgelegt. Also, was soll Kruschke machen? „Ich kann nicht jedem Hund hinterherlaufen!“ Ein Kontaktbereichsbeamter hat vielfältige Aufgaben. Mehr als zwei bis sieben Anzeigen monatlich in Sachen Hund schreibe er nicht, sagt Kruschke. Wenn er durchgehe, werden die Hunde angeleint. „Das wichtigste ist unsere Präsenz.“

Laut Gesetz müßte ein Besitzer eigentlich 100 Mark Bußgeld zahlen, wenn er einen Hundehaufen im Grün oder auf der Straße nicht beseitigt. 60 Mark kostet es, wenn ein Hund im Park frei herumtobt. Im Grünflächenamt im Bezirk Charlottenburg ist kein Fall bekannt, in dem wegen Nichtentfernens von Hundekot tatsächlich ein Bußgeld verhängt wurde. Die Beweislage ist schwierig, auch auf den Straßen in Kruschkes Abschnitt. „Was glauben Sie, was ich zu hören bekomme? Da heißt es: Nee, der Haufen ist doch nicht von meinem Hund! Der hat nur gepullert!“ Man möchte nicht in Kruschkes Haut stecken. Und wenn Streifen in Zivil den Hundehaltern hinterherliefen und Verwarnungsgelder verhängten? „Die Leute beschweren sich doch schon, daß zuviel reglementiert wird“, meint Kruschke. Kruschke ist gegen den totalen Überwachungsstaat.

„Wir haben noch andere Probleme“, meint sein Kollege Bodo Rehbann. Er patrouilliert am Stuttgarter Platz, einem Rotlichtbezirk in Berlin. Anzeigen wegen Hundehaufen schreibt er da nicht. Genausowenig wie seine Kollegen in Prenzlauer Berg oder anderswo. In Bezirken mit wenigen Grünflächen gehört der Slalomlauf um Hundehaufen zur weltstädtischen Flanier-Erfahrung.

Mit Strenge allein richte man nichts aus, ist Rehbann überzeugt. Und überhaupt: Wenn ein Hundehalter uneinsichtig sei und dann vielleicht noch Widerstand leiste gegen die Aufnahme der Personalien und dann vielleicht auch noch mit polizeilicher Gewalt zur Einsicht gezwungen würde, „dann fragt uns am Ende der Richter: ,Wo bleibt die Verhältnismäßigkeit der Mittel‘?“ Mit der Mütter- Streife an diesem Morgen läuft Rehbann aber pflichtbewußt mit.

Natur bleibt doch Natur. Im Lietzenseepark stehen seit dem Samstag Tütchenspender. Die drei älteren Damen wissen von der Extrastreife mit der Bürgerini an diesem Dienstag. Alle haben Plastiktütchen für ihre Hündchen dabei. Eifrig zeigen sie die Tüten vor, als würden sie zum Pilzsammeln starten: „Wir machen die Haufen weg! Da müßten Sie mal andere fragen, die mit den Kampfhunden!“ „Alibitüten“, murmelt Rehbann. Eine blondgesträhnte Hundebesitzerin versichert: „Mein Hund macht nicht im Park. Wir kommen schließlich von der Sybelstraße und sind schon eine Weile unterwegs!“ Hundehalter, die von der Eltern-Aktion wissen, sind auf die umliegenden Straßen ausgewichen. In der Herbartstraße säumen heute noch mehr Häufchen den Weg der Kleinen.

In den nächsten Tagen erreicht ein offener Brief die Charlottenburger Bezirksoberen: Die Unterschreiber beschweren sich, daß die Anti-Hundekot-Aktion nur die Polizei in den Park hole, daß die Stadtreinigung doch erst mal den anderen Müll wegräumen solle und überhaupt. Eine Gegeninitiative der Hundehalter für mehr Freiheit und Natur in der Stadt.

Babywindeln auf dem Rasen jedenfalls sehen nicht natürlich aus. „Hoffentlich räumen die das hier weg“, sagt am Windel-Samstag ein junger Mann und blickt mit Ekel um sich. Da liegen die Dinger schon eine Stunde im Gras. Dann rammt er neben einem Hundehaufen eine Zeltstange in den Boden. Gleich ist Kinderfest mit dem Regierenden Bürgermeister Diepgen. „Das sehen die Windeln nicht gut aus. Die Leute übertreiben.“

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