: Kühle Virtuosität des Erfolgs
■ Die Gruppe Riverdance präsentierte in der Stadthalle ihre irischeTanzshow
Fragt man einen x-beliebigen Menschen, zum Beispiel Kathrin H. aus L., nach seinen kulturellen Interessen, hört man: „Riverdance kommt in diesem Jahr nach Leipzsch, das will ich unbedingt sehen.“ Kathrin H. aus L. hat nämlich genauso wie Claus K. aus B. oder Monika M. aus D. irgendwo gehört, daß Riverdance ganz hervorragend sei und, was noch wichtiger ist, dieses Hörensagen zur eigenen und völlig festen Überzeugung gemacht.
Ein paar Plakate in der Stadt, eine mitternächtliche Ausstrahlung von Riverdance im Sommer im Regionalfernsehen N3: Viel mehr Werbung wurde in den letzten Wochen für das nach Kiel einzige norddeutsche Gastspiel der irischen Tanz-, Musik-, Dia- und Lichtshowgruppe nicht gemacht. Und doch sind die 14 Vorstellungen, die jetzt für Kartenpreise von bis zu 175 Mark in der Bremer Stadthalle gezeigt werden, schon längst ausverkauft. Es ist nicht kühn, das auch für die Zusatzvorstellungen im April 1999 vorherzusagen. Denn Riverdance ist ein Phänomen aus dem Rätselbuch der Kulturindustrie.
Die Bühne bombastisch, also groß. Die Band bombastisch, also gut besetzt und im Gegensatz zum Konkurrenzunternehmen „Lord of the Dances“ neben Schlagzeug, Percussion, E-Baß, E-Gitarre etc. auch mit irischen Instrumenten wie den Uillean Pipes, dem Dudelsack oder der Stehgeige ausgerüstet. Kein Wunder: Schließlich wird Riverdance als das Original annonciert, das 1994 beim Schlager-Grand-Prix in Dublin ein Sieben-Minuten-Pausenfüller war und inzwischen zum Trio geklont durch die Profit Centers Nord- und Südamerika sowie Asien, Ozeanien und Europa tingelt.
Am Anfang waren Flötentöne, und dann kam das Wort. In Form einer Fantasy-Story berichtet eine Off-Stimme voller Pathos von der Besiedlung einer geheimnisvollen Insel und später von Auswanderung, orakelt von „Wellen am Ufer des Zeitenmeeres“ und liefert mit dieser myhtenschwangeren Irland-Saga das Gerüst für die Revue. Von den Seiten, über eine Treppe in der Mitte oder durch zwei Tunnel kommen die TänzerInnen auf die Bühne und zelebrieren ihren irischen Stepptanz. Es sind in zwei Hälften geteilte Menschen. Die Oberkörper sind – von erlaubtem Lächeln in den Gesichtern abgesehen – vereist wie die Caspar-David-Friedrich-Kopie aus der mit ihren naiven und gekonnt ausgeleuchteten Bildmotiven gerade am Rand des Kitsches vorbeischrammenden Dia-Projektion. Hüftabwärts aber führen Männer wie Frauen ihren Irish Dance mit Sprüngen, Flügen, Hackenschlägen und Tippelschritten vor, als sei der Boden zu heiß, um selbst mit eisenbeschlagenen Schuhen auf ihm aufzutreten.
Wenn ein Paar allein auf der Bühne ist oder eine Tänzerin sich mit zwei Tänzern konfrontiert sieht, spielt sich außer dem Immer-doller-immer-schneller des Tanzes zwischen ihnen nichts ab. In John McColgans Choreographie geht es allein um sich verändernde Figurenkonstellationen im Raum und die Wechsel der Formationen, in deren Höhepunkten sich fast alle der 75 exzellenten TänzerInnen des Ensembles zu Kreisen und Reihen zusammenschließen.
Dabei ist Riverdance nicht mehr als eine Nummernrevue. Die Tanzeinlagen, in die auch Elemente russischer Akrobatik, von Flamenco und US-Tap-Dance einfließen, werden immer wieder unterbrochen oder ergänzt. Mal löst sich eine MusikerIn zum Solo aus der Band, die einen aufgepoppten Irish Folk mit Flamenco- und Jazz-Elementen würzt (Komposition: Bill Whelan). Mal betritt ein hervorragender Chor die Bühne, dessen Stimmen auch in der technischen Verstärkung genau austariert sind. Bis ins Licht ist bei allem Perfektion die Devise dieser aus sämtlichen Irland-Klischees montierten Show. Doch aus all dem Kalkül sticht nur eine Szene wirklich hervor, die sich, wie ein PR-Text etwas überrascht anmerkt, „zu einem Höhepunkt der Show entwickelt hat“. Hier treffen drei Iren und drei Afroamerikaner aufeinander. Das „West Side Story“-Zitat mausert sich zum Tap-Contest, und der ist der Showteil, in dem sich die kühle Virtuosität mit Spielerischem mischt. Allein diese (natürlich auch kalkulierte) Szene hat noch den Anschein, daß auch etwas schief gehen könnte. Wäre die ganze Show so gestrickt, wäre sie nicht nur fulminant, sondern auch spannend. Doch den kommerziellen Erfolg hätte sie dann wahrscheinlich nicht. Christoph Köster
Bis 25.10. in der Stadthalle; das noch nicht ausverkaufte nächste Gastspiel folgt im April 1999
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen