: Alle oder keiner
■ Grüne Minister sollen Abgeordnetensessel frei machen
Aus gutem Grund war es bei den Grünen bislang üblich, daß Abgeordnete ihr Mandat niederlegen, wenn sie ein Ministeramt übernehmen. Wer gleichzeitig Abgeordneter ist, kommt in die absurde Situation, als Parlamentarier eine Regierung zu kontrollieren, der man selbst angehört. Einziger „Sinn“ des Mandats: Es ist ein Auffangnetz. Falls die Regierung zerbricht, sichert der Platz im Parlament die weitere bezahlte Teilnahme am politischen Leben. Die Grünen hatten also allen Grund, dieses Spielchen nicht mitzumachen.
Doch für die erste rot-grüne Regierung in Bonn sollen nun andere Spielregeln gelten. Zumindest die designierten Minister Joschka Fischer und Jürgen Trittin wollen ihr Mandat behalten. Die Berliner Abgeordnete Andrea Fischer, die Gesundheitsministerin werden soll, steht damit vor einem Dilemma. Verzichtet sie als einzige der grünen MinisterInnen auf das Privileg des Bundestagsmandats, schwächt sie ihre Position. Innerhalb der grünen Ministerriege würden die Männer mit doppeltem Netz und Boden arbeiten, die einzige grüne Ministerin nicht. Angesichts dessen, daß die grünen Frauen bereits auf eine Quotierung der grünen Ministerposten verzichten mußten und insgesamt nur fünf Frauen dem 16köpfigen Schröder-Kabinett angehören, wäre dies nicht vertretbar.
Zu einem privaten Problem von Andrea Fischer sollte die Frage einer Trennung von Amt und Mandat nicht gemacht werden. Ein grundsätzlicher Verzicht aller grünen Minister auf ein Bundestagsmandat wäre der einzig richtige Weg. Es gibt keinen Grund, die Trennung von Amt und Mandat aufzuheben. Das Argument, daß die Position der Minister „geschwächt“ wird, weil ihre parlamentarischen Staatssekretäre dem Bundestag angehören und die Minister nicht, ist nicht überzeugend.
Und auch der Hintergedanke, im Falle eines Scheiterns von Rot- Grün dann wenigstens eine weiche Landung auf der Oppositionsbank in Aussicht zu haben, dürfte für die Grünen keine Rolle spielen. Diese Koalition muß vier Jahre halten. Auf dem Mandat zu beharren könnte auch als mangelndes Vertrauen in die Haltbarkeit der Regierung interpretiert werden – das wäre das falsche Signal. Nachgeordnet bleibt letztlich die Frage, wer in den Bundestag nachrückt. Für Berlin hat diese Frage allerdings besondere Brisanz, weil dann doch noch mit Marianne Birthler eine Repräsentantin aus dem Ostteil der Stadt in den Bundestag einziehen könnte. Dorothee Winden Seite 30
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