piwik no script img

Ein Messen ungleicher Kräfte

Komplett wechselnde Kräfteverhältnisse bei Halbzeit bringen schlappen Leverkusenern doch noch einen 3:2-Sieg gegen schlappmachende Eintracht  ■ Aus Frankfurt Klaus Teichmann

Im Herbst, wenn sonst eigentlich nicht mehr so arg viel blüht, blüht immer noch der Flachs. So nennen Fußballspieler ihre einfache, direkte und von Witz durchtränkte Form der internen Kommunikation. Beispielsweise wird von einem Ausflug von Fußballspielern mit deutschen Pässen berichtet, daß Ulf Kirsten mit einem „für euch reicht's noch“ konterte, als Ralf Weber flachste, ob er denn sein Pulver bereits vor dem Bundesligaspiel zwischen Eintracht Frankfurt und Bayer Leverkusen auf jenem besagten Fußballausflug verschossen habe. In dieselbe Rubrik fällt auch das Statement von Eintracht-Spieler Ansgar Brinkmann, der, zu der Schwierigkeit befragt, gegen Bayers brasilianischen Superstar Zé Roberto antreten zu müssen, meinte: „Ich bin ein weißer Brasilianer.“ Der 40.000- Mark-Einkauf aus dem niedersächsischen Cloppenburg gegen den 12-Millionen-Mann von dort, wo sie den Ball mit aufs Klo nehmen – das versprach lustig zu werden.

Gegen die Eintracht reichte es dann tatsächlich. Gerade noch. Die Bayer-Auswahlkicker Ramelow, Nowotny, Beinlich und Kirsten wirkten zunächst gänzlich ohne Pulver. Erst nach einer Stunde waren die Bayer-Kicker bereit, „eine reine Anwesenheitspflicht“, wie es später Bayer-Trainer Christoph Daum formulieren sollte, überzuerfüllen. Kirsten zündelte mit dem Restpulver den Anschlußtreffer herbei – alles andere war eine Frage der Zeit. „Daß es so schlimm kommen mußte – kaum zu fassen“, japste Eintracht-Trainer Horst Ehrmantraut. Tatsächlich hatte der eigenwillige Übungsleiter der Frankfurter Eintracht in den Tagen davor alles darangesetzt zu erläutern, daß es gegen Leverkusen eigentlich gar nicht schlimm kommen konnte. Mit Rechenschiebereien devotester Natur wurde da taktiert: Die Eintracht „dürfte normalerweise gar nicht antreten“ gegen dieses übermächtige Kaliber, gegen diesen „dicken Brocken“, gegen diese „Topmannschaft der Liga“ – „ein Messen ungleicher Kräfte“ sei das nämlich.

So sah das dann auch auf dem Platz aus. Bloß anders herum. Der Aufsteiger wirbelte, spielte geradlinig direkt nach vorne und vergaß auch das Toreschießen nicht. Bernd Schneider, den viele schon als neuen Frankfurter Nationalspieler sehen, vergab gleich mehrfach – Grund, ihn deswegen gleich zu Erichs Haufen wegzuloben, besteht deswegen jedoch noch lange nicht. Chen Yang und Alexander Schur trafen jedoch. „Wir waren gut bedient, wie hätten auch 3 oder 4:0 hinten liegen können“, dozierte Daum. Weltmännisch schlug er die Eintracht zum Sieger der ersten Halbzeit. „Du erhöhst den Druck, du erhöhst die Torwahrscheinlichkeit“ – Christoph Daum, du erhöhst die Aggression gegen dich. Still und heimlich erhöhte sich nach der Pause auch das Bayer- Torkonto. Mit den Einwechslungen der späteren Torschützen Nico Kovac und Thomas Reichenberger erhöhte Daum dann zu guter Letzt sogar wieder den Möchtegern-Druck auf Bayern München.

Der Frankfurter Olaf Janßen, vom Mittelfeldwirbler zum dauerverletzten Stadionsprecher mutiert, hatte die bittere Pille dann den 30.000 im Waldstadion zu vermitteln: „Die Eintracht hat in der ersten Halbzeit alles richtig gemacht und in der zweiten Halbzeit alles falsch. An Leverkusen lag das nicht, da war die Eintracht ganz allein schuld.“ Während die Frankfurter einen Manager verpflichtet haben, der wiederum Verstärkungen verpflichten soll, sieht Trainer Ehrmantraut „keinen Druck, neue Spieler zu holen“. Ihn zieht es statt dessen in den Wald hinaus. Der neue technische Direktor Gernot Rohr karrte in den letzten Tagen Spieler um Spieler an den Riederwald zum Vorspielen, doch Ehrmantraut weilte derweil mit seinen „Jungs“ im Dickicht. Waldlauf. Eine Trainingseinheit, die Ehrmantraut gerne zur Chefsache stilisiert: „Die Trainingssteuerung habe nur ich machen können.“

Aber die kühle Waldluft hat schließlich doch noch allen gut getan. Rohr hat „das Profil des Spielers herausgearbeitet“, der fehlt, und Ehrmantraut sich mit Fundamentalem vertraut gemacht: „Für uns zählen faktisch nur die Punkte, und bei uns stehen null Punkte.“

Bayer Leverkusen: Matysek – Nowotny – Robert Kovac (73. Nico Kovac), Happe – Reeb, Emerson (84. Mamic), Ramelow, Beinlich, Zé Roberto – Kirsten, Rink (78. Reichenberger)

Zuschauer: 30.200; Tore: 1:0 Yang (23.), 2:0 Schur (27.), 2:1 Kirsten (55.), 2:2 Nico Kovac (75.), Reichenberger (86.)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen