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Am Ende ein Lächeln

Theatralisches Dörrobst: In Leipzig scheitert der Versuch, Ingo Schulzes „Simple Storys“ für die Bühne zuzurichten und aus der Groteske eine Tragödie zu pressen  ■ Von Nikolaus Merck

In seiner klassischen Zeit hatte es das Theater leichter. Aus Widerstand gegen göttlich verfügtes Schicksal und Königsmord ließ sich das Tragische unverdünnt gewinnen. Auch Vatermord und Inzest gaben noch einiges her, um auf der Bühne exemplarische Geschichten über die Ausweglosigkeit menschlicher Existenz zu erzählen. Am Ende der Moderne, angesichts der übermächtig gewordenen Dingwelt und der Frage, ob das Subjekt überhaupt noch existiere, ist der Agent der Tragik, der (oder die) große einzelne, auch der Bühne abhanden gekommen. An seiner statt blubbert jetzt die autoaktive Wortschleife. Wo Tragödie war, herrscht die Groteske im Zustand allgemeiner Tatiisierung. Wie dem großen Jacques Tati gerät dem dramatischen Personal die Welt schon beim Versuch, einen Sonnenschirm zuzuklappen, andauernd und rettungslos aus den Fugen.

Schade nur, daß die Bühnenschaffenden zur Groteske sich nicht zu bekennen vermögen. Und noch aus der Jahrhundertkomödie „Deutsche Vereinigung“ mit ihren sozial-mentalen Wirrnissen das eisige Rinnsal des Tragischen auszupressen suchen. Um jeden Preis. Selbst wenn sie dafür eine leise lächelnde, seltsam flirrende, filigrane Vorlage wie Ingo Schulzes „Simple Storys“ in theatralisches Dörrobst verwandeln müssen. So geschehen in Leipzig, wo Anna und Lukas Langhoff ihre „Spielfassung“ des allseits akklamierten Nachwende-Romans „aus der ostdeutschen Provinz“ erstaufführten. Obwohl Vetter und Base Langhoff sich auf gelinde Eingriffe beschränkt haben – das Personal ist ausgedünnt, der Text auf etwa ein Drittel eingestrichen und hier und da neu montiert –, ist von Schulze so gut wie nichts geblieben. Schon der Beginn der Aufführung gleicht einem Signal. Drei Damen, drei Herren, sechs Mikrophone, sechs Exemplare von „Simple Storys“. Aus denen die Schauspieler vorlesen. Wie das Ehepaar Meurer nach Italien reiste. Im Bus mit Freßpaket. Und die Vergangenheit sie einholte. Als Dieter Schubert, den Meurer einst aus nichtigem Anlaß aus dem Schuldienst entfernte, seinen ehemaligen Vorgesetzten vor versammelter Reisegesellschaft beschimpfte. Was wie ein formales Augenzwinkern beginnt, setzt sich als Verweigerung der szenischen Aktion beharrlich fort. Über weite Strecken mühen sich redende Schauspieler um Aufmerksamkeit. Redlich, aber schändlich von jeder spielleiterischen Inspiration verlassen. Vergeblich bläst Gundolf Nandico zwischen den 14 Szenen schneidend aufrührende Töne auf seiner Trompete.

Regisseur Lukas Langhoff bemüht die schlechtesten Traditionen jüngeren Osttheaters, um dem Text Spannung und Leben zu entziehen. Konzentration verwechselt er mit Starre, Tragödie mit Triefigkeit, bittere Ironie mit Denunziation. Dabei besteht die besondere Qualität von Ingo Schulzes kleinen Geschichten gerade darin, Tiefenbohrungen in die Psyche eines zutiefst verunsicherten Volksstammes zu unternehmen, ohne dabei das Schicksal zu bemühen oder das je eigene biographische Recht seiner Figuren mit ihren ungeschickten Hoffnungen zu verletzen. Während Schulze die Würde noch des miesesten Sesselfurzers wahrt, trampelt Langhoff auf den Verlierern unnachgiebig herum.

Die Bühne wird so zum Panoptikum. Der schweinigelnde Peter Bertram: ein lippenleckender, schmatzender Kleinbürger, nervtötend eindimensional wie der gutartige Kunsthistoriker Martin Meurer verlegen linkisch. Der Alptraum des „roten Ernst Meurer“: ein Bügelfalten-Genestele; die christliche Verklärung eines in den Westen abgehaunen Oberarztes: gutgemachte Parodie auf den legendären Rollstuhl-Doktor Seltsam des Peter Sellers. Die Frauen: tapfere Weiblein, zwischen resignativem Trotz und stummem Aufbegehren.

Das Herz füllt sich mit Freude (Regieeinfall!, Regieeinfall!), wenn Danny, die idealistische Reporterin, aus Angst vor Reifenstechern die vier Räder ihres alten Plymouth mit in die Butze des Pornoschmieranten Peter Bertram schleppt. Oder Bühnenbildner Alexander Wolf eine kleine Spielzeugeisenbahn über die Beleuchterbrücke töffeln läßt, weil gerade von einem Bahnhof die Rede ist. Hin und wieder gibt es auch einen Chor, der laut ruft, bevorzugt das Wort „Panik“. Schließlich ist das schleichende Vergehen der DDR ja ein tragisches Geschick.

Erst gegen Ende der Aufführung emanzipieren sich die Schauspieler von der bösen Strenge ihres Regisseurs. Zwischen den versinkenden Nischen der untergegangenen Ost-Gesellschaft, die Alexander Wolf wie eine Grabungsstätte in die beengte neue Szene gebaut hat, werden plötzlich innenliegende Konflikte sichtbar; mit großer Intensität spielt Susanne Stein die hysterische Absence der Psychiaterin Barbara Holitzschek, als sie erkennt, daß ihr Alptraum, eine Radfahrerin überfahren zu haben, Wirklichkeit ist.

Und zuletzt erlaubt sich auch Lukas Langhoff einen kleinen Scherz. Weil es bei ihm, ganz gleich ob Ost oder West, nur Verlierer der Geschichte gibt, treten die Schauspieler als Werbemännchen verkleidet auf. Und so, wandelnd als Fische, Pommes-Frites-Tüte, Hamburger und Bienenstich, singen sie ein Liedlein: „Es gibt schon soviel / Und es wird immer mehr / Und wir können alles kaufen / Aber das Beste ist immer noch saufen / Saufen, fressen und ficken / Und die Kinder Bier holen schicken.“ Beim Schlußapplaus lächelte der Dichter Ingo Schulze tapfer. Was blieb ihm auch anderes übrig.

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