: Globales Kreisen um die Quote
■ Seit Sputnik, das MDR-Jugendradio, auf UKW sendet, bringt es Musik und haufenweise Clips. Doch über sein Schicksal entscheiden nicht die Macher, sondern die Bundesverwaltungsrichter
Michael Schiewack redet schnell und viel. Seine Sätze springen von Internetradio zu „globaler Jugendmedienkultur“. Seine Gedanken kreisen um die Zukunft des Radios. „Viele Jugendliche denken bereits multimedial“, verkündet der Chef des MDR-Jugendradios Sputnik: Um die Jugend fürs Radio zu begeistern, müsse man sich etwas Neues einfallen lassen. „Clipkultur“ heiße die Herausforderung der Zukunft.
Auf die Zukunft will Schiewack vorbereitet sein. Denn wenn morgen das Bundesverwaltungsgericht verhandelt, geht es darum, ob Sputnik überhaupt über UKW senden darf. Ein folgendes Urteil könnte bedeuten, daß der Programmchef mit weiteren Frequenzen rechnen – oder seine Clipkultur künftig nur noch über Satellit verbreiten kann.
Sputnik hieß einst DT64. In der DDR hatte das Jugendradio Kultstatus. Als das Programm 1992 eingestellt werden sollte, demonstrierten die Hörer – mit Erfolg. Das Programm blieb als MDR- Sputnik erhalten, wurde allerdings in den Orbit verbannt: Empfangen konnte man das Programm nur über Satellit und einige Kabelnetze. Doch der Mythos lebte weiter. Sendungen wie „DX-Club“, „Rush-Hour Extra“ und „Zeitgeist“ waren Markenzeichen, mit denen sich der Sender vom Dudelfunk zwischen Dresden, Erfurt und Magdeburg unterschied. Auch wegen des informativen Anspruchs holte die Regierung Sachsen-Anhalts Sputnik auf die Erde. Das Land wies dem Sender die UKW- Frequenz 104,4 in Halle zu, allerdings gegen den Willen der anderen MDR-Länder Thüringen und Sachsen. Seit nun gut einem Jahr sendet Sputnik in der, so lautet ein Slogan, „Zone 104 Punkt Vier“.
Frequenzen im restlichen MDR-Sendegebiet blieben dagegen ein Traum. Sachsen ist prinzipiell die gegen Verbreitung weiterer öffentlich-rechtlicher Programme. Durch das Bundesverwaltungsgericht will die Regierung Biedenkopf klären lassen, wie viele Wellen der MDR über UKW ausstrahlen darf. Die Frage, ob die Politik vorschreiben darf, wie viele Programme ein Sender veranstaltet, hat bundesweite Bedeutung. Denn überall schalten ARD-Sender neue Radios auf. Sie berufen sich auf die in Urteilen des Bundesverfassungsgerichts verbriefte Entwicklungsgarantie des öffentlich- rechtlichen Rundfunks – zum Verdruß der privaten Konkurrenz.
Obwohl völlig unklar ist, wie die Richter nun entscheiden, ist Sputnik-Chef Schiewack optimistisch: „Nach der Entscheidung hoffe ich, daß wir auch Frequenzen in Sachsen und Thüringen bekommen. Wer soll denn öffentlich-rechtlichen Jugendfunk machen, wenn nicht wir?“ Der Privatfunk mache im Kern nur Marketing und „wir haben etwas anderes zu bieten außer dem Verkauf von Werbung“.
Obwohl bei Sputnik keine Werbespots nerven, ist die Welle ein Jahr nach ihrer UKW-Aufschaltung im Zeitalter des Formatradios angekommen und geht auf Jagd nach der Quote. Das Programm ist inzwischen bis auf die Minute formatiert, Musik hat Vorrang vor allem anderen. Zu Zeiten mit vielen Hörern, morgens und wenn die Schule aus ist, bestimmen heute Musikspielchen und Klamauk mit zusammengeschnipselten O-Tönen das Programm. Wenn im „Morgenrock“ Politikerstatements aus dem Vorabendfernsehen verhohnepipelt werden, ist das häufig nicht lustig, sondern langweilig. Der Sendung „Zeitgeist“ ist der Tiefgang verlorengegangen: Oft sind kurze Umfragen alles, was beispielsweise zum Thema „Essen an Hallenser Schulen“ dem Hörer geboten wird. Die Macher setzen auf Collagen und Clips. Mit langen Wortbrocken seien Jugendliche nicht zu erreichen, meint der Wellenchef: „Wir machen die gesamte Welt, die unsere Hörer interessiert, in drei Minuten. Ist Krieg, ist kein Krieg, wer wurde auf dem Marktplatz überfallen, und was mache ich heute abend.“ Dieses Konzept habe Erfolg, sagt Schiewack und verweist auf die Hörerzahlen. Den Sender hören laut MDR täglich 40.000 Hörer.
Nur noch in Teilen hat das Programm mehr zu bieten als die kommerzielle Konkurrenz oder andere ARD-Jugendwellen. Immerhin gibt es von 18 bis 19 Uhr noch die Informationssendung „Rush-Hour“, in der ein Tagesthema in Berichten, Interviews und O-Tönen aufbereitet wird. So etwas hat weder das SFB/ORB-Jugendradio Fritz noch die NDR- Welle N-Joy zu bieten, ganz zu Schweigen vom Privatfunk. Auch werden bei Sputnik nach 19 Uhr Musikgeschmäcker bedient, die abseits der Hitparaden liegen. So laufen in der Sendung „Makossa“ afrikanische Rhythmen.
Falls das Bundesverwaltungsgericht die Aufschaltung von Sputnik auf UKW für rechtmäßig hält, könnte der Sender auch mit Frequenzen in Thüringen und Sachsen rechnen. Aber ob Sputnik dann den Spagat zwischen Quotenjäger und informativem Jugendsender schafft, ist offen. Die Vorstellungen von Michael Schiewack sind da relativ klar. Hörerzahlen seien der einzige Maßstab, an dem man sich messen lassen könne. Musik sei der Grund, warum die Leute Radio einschalten, sagt er. Und: „Wir reden nicht zehn Minuten rum, da hört niemand zu. Aus die Maus.“ Christian Rohde
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