: Neuer Streit in Chile über Pinochet
Während die Rechte in Santiago gegen die Festnahme des Ex-Diktators in London demonstriert, distanzieren sich Mitglieder der Regierungsparteien von Präsident Frei ■ Von Ingo Malcher
Buenos Aires (taz) – Steine flogen am Sonntag abend gegen das Gebäude der britischen Botschaft in Santiago de Chile. Etwa 3.000 Demonstranten machten ihrem Unmut über die Verhaftung des ehemaligen chilenischen Diktators Augusto Pinochet in London am Wochenende Luft, in dem sie britische Fahnen verbrannten und auf Transparenten die Freilassung Pinochets forderten. Unter den Demonstranten befand sich auch der Sohn Pinochets. Die Polizei setzte Wasserwerfer gegen die Demonstranten ein und verhaftete nach Angaben des Fernsehsenders TVN sechs Personen.
Anhänger der rechtsextremen, pinochethörigen Parteien Nationale Erneuerung (RN) und Unabhängige Demokratische Union (UDI) kündigten an, nach London zu reisen, um Pinochet Beistand zu leisten. „Wir wollen mit dem General und seiner Familie sein“, sagte der Abgeordnete Patricio Melero. Pinochet wurde in London auf ein Gesuch der spanischen Justiz festgenommen, die gegen den 82jährigen wegen des Mordes von spanischen Staatsbürgern während der Militärdiktatur (1973–1990) ermittelt. Jetzt droht Pinochet die Auslieferung nach Spanien.
Die chilenische Regierung, die die Freilassung Pinochets fordert, entsandte eine Delegation nach London, die den Festgenommenen diplomatisch beraten soll. Außenminister José Miguel Insulza sagte in Santiago, die strafrechtliche Verteidigung sei Sache Pinochets und seiner Familie. Der chilenische Präsident Eduardo Frei und Insulza hatten zuvor eine Protestnote nach London geschickt. Ihrer Ansicht nach wurde mit der Festnahme Pinochets dessen Immunität verletzt, da er mit einem Diplomatenpaß unterwegs gewesen sei. In Chile selbst ist Pinochet als Senator auf Lebenszeit vor strafrechtlicher Verfolgung geschützt. Außerdem ist nach Ansicht Freis für chilenische Staatsbürger allein die chilenische Justiz zuständig.
Dem widersprachen Abgeordnete seiner Regierungskoalition aus Sozialisten und Christdemokraten. „Die Immunität wird außer Kraft gesetzt, wenn es um Verbrechen gegen die Menschlichkeit geht“, sagte der christdemokratische Abgeordnete Patricio Walker nach einem Treffen mit Insulza. Wenn die spanische Justiz die Auslieferung Pinochets verlange, sei das, so Walker, „vollkommen legitim“. Auch für den Chef der chilenischen Sozialisten, Ricardo Nuñez, „entspricht die Verhaftung internationalem Recht“.
Auch der sozialistische Abgeordnete Juan Pablo Letelier kritisierte die Position der Regierung. „Immunität bedeutet nicht Straflosigkeit“, sagte der Sohn des 1976 in Washington ermordeten ehemaligen Außenministers Allendes, Orlando Letelier. Carmen Soria, Tochter des in Chile ermordeten UNO-Diplomaten Carmelo Soria, in dessen Fall die spanischen Richter unter anderem gegen Pinochet ermitteln, erklärte am Sonntag, daß sie per Telefon Morddrohungen erhalten habe. Nach der Festnahme Pinochets in London gab Soria in Santiago zahlreiche Fernsehinterviews, in denen sie ihre Genugtuung ausdrückte. Sie kündigte an, die Sicherheitsbehörden um Schutz für sie und ihre Familie zu bitten. Carmelo Soria wurde 1976 vom inzwischen aufgelösten chilenischen Geheimdienst DINA ermordet. Die Tat wurde niemals aufgeklärt.
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