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Kaninchenzüchter im Plenarsaal

Die Koffer sind schon gepackt: Unsere Abgeordneten werden ab 1999 in Berlin debattieren. Aber was wird dann aus dem gar nicht so alten Bonner Bundestag?  ■ Aus Bonn Ruth Ciesinger

Noch rund acht Monate werden die Abgeordneten im Bonner Bundestag Gesetze machen – dann ist Schluß damit. Wenn das Parlament nach dem 2. Juli 1999 in die Sommerpause geht, beginnt die Bundestagsverwaltung mit dem Umzug nach Berlin. Das heißt aber nicht, daß dann in halb Bonn die Häuser leer stehen. Einige Ministerien bleiben sowieso in Bonn, und die brauchen weiter eine Bleibe. Das sonst weniger im öffentlichen Interesse stehende Entwicklungsministerium steigt dabei sogar auf ins ehemalige Kanzleramt. Für die anderen Gebäude gibt es schon lange Nachmieter, manche Institute kommen sogar im direkten Wechsel aus Berlin. In den „Langen Eugen“, das Bürohochhaus direkt neben dem Bundestag, wird unter anderem das Bundesinstitut für Berufsbildung einziehen. Sogar für den Schürmannbau, der nach der Heimsuchung durch ein Rheinhochwasser immer noch aussieht wie ein riesiger hohler Zahn, ist mit der Rundfunkanstalt Deutsche Welle ein Nutzer gefunden.

Nur was mit dem Plenarsaal geschieht, ist noch unklar. Erst 1992 bezogen die Volksvertreter diesen „neuen Bundestag“. „Vor Urzeiten“ hat es mal den Plan einer Europa-Universität gegeben, so Wolfgang Jenders vom Bauministerium. Diese Idee sei aber „wieder fix ad acta“ gelegt worden. Also keine Vorlesungen im Bundestag und Mensa-Essen im Restaurant Neuer Plenarsaal. Die Überlegung, den Plenarsaal zum Museum umzuwandeln, damit Interessierte in den Hallen der bundesrepublikanischen Demokratie lustwandeln können, scheint ebenfalls nicht mehr aktuell. Am wahrscheinlichsten ist, daß künftig die Teilnehmer von Kongressen und Konferenzen das Gebäude bevölkern werden. Die große Frage ist, ob es sich dabei um den sprichwörtlichen Kaninchenzüchter handeln wird oder eher um hochrangige UNO-Delegierte.

Als Diskussionsbasis über die weitere Nutzung des hohen Hauses dient ein Gutachten der Kienbaum-Unternehmensberatung. Diese Studie trägt den ellenlangen Namen „Möglichkeiten einer Folgenutzung des Plenarbereichs des Deutschen Bundestages in Bonn als Tagungs- und Kongreßzentrum“ und erörtert zwei Verwendungsvarianten. Die „erweiterte und uneingeschränkte Kongreßnutzung“ würde bedeuten, daß tatsächlich jeder Verein, der Lust und Geld dazu hat, seine Tagungen im ehemaligen Bundestag abhalten kann. Die „engere Kongreßnutzung“ sieht vor, daß nur internationale Organisationen, Behörden und mindestens ebenso ehrwürdige Einrichtungen in das für 256 Millionen Mark gebaute Haus dürfen.

Die zweite Variante wird von den meisten Beteiligten bevorzugt. Wieviel deren Verwirklichung kosten würde, weiß man noch nicht. Kienbaum beziffert für den notwendigen Umbau des Bundestages eine Summe von rund 56 Millionen Mark für die nächsten zwölf Jahre. Da wird aber noch die Errichtung eines zusätzlichen Plenarsaales miteingerechtnet. Günter Behnisch, der Architekt es „neuen Bundestages“, lehnt diese Möglichkeit allerdings ab. „Das Bauministerium war noch nie besonders sensibel für solche Dinge“, so Behnisch. Ihm wäre es am liebsten, wenn „baulich so gut wie nichts verändert werden würde“. Falls tatsächlich noch ein weiterer Sitzungsaal benötigt würde, sei es eine gute Lösung, das „Wasserwerk“ dazu umzubauen. Dort tagten die Abgeordneten vor der Fertigstellung des „neuen Bundestages“. Falls die geplanten Veränderungen zu sehr gegen seine Vorstellungen gehen, kann sich der Architekt Behnisch sogar vorstellen, von seinem Urheberrecht Gebrauch zu machen, um sie zu verhindern.

Wie kämpferisch das auch klingen mag, Behnisch scheint sich von den Entwicklungen inzwischen distanziert zu haben. „Ich habe mich damals, als klar war, daß die Abgeordneten nur sechs Jahre im neuen Bundestag sitzen werden, nicht tobend auf den Boden geworfen“, sagt er. Aber „drollig“ findet er es schon und bescheinigt der „Absurdheit der Situation“ einen „fast schon humoristischen Anstrich“.

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