: Abbauen, abschmelzen, abkassieren
Berlins Hochschulen erleben einen Umbau wie in keinem anderen Bundesland. Innerhalb von zehn Jahren müssen sie ein Drittel ihrer Etats einsparen. An manchen Instituten beginnt das Wintersemester im Chaos. Doch die wirklich harten Zeiten stehen noch bevor ■ Von Ralph Bollmann
Das Semester findet vorerst nicht statt. Als die Kunsthistoriker der Freien Universität am Montag aus den Ferien zurückkehrten, fanden sie sich im Chaos wieder. Die Bibliothek noch nicht benutzbar, die Seminarräume ohne Möbel, die Büros halbleer. Weil die Uni die Miete für das alte Gebäude einsparen mußte, sollte das Institut Räume der aus Spargründen verkleinerten Tiermedizin beziehen. Doch die Aufzüge wurden nicht rechtzeitig fertig, der Umzug verzögerte sich. Jetzt sollen die Seminare erst am 26. November beginnen.
Berliner Studenten kann so etwas nicht wirklich schrecken. An einen erhöhten Chaosfaktor sind sie gewöhnt, seit die Hochschulen einen Totalumbau erleiden müssen wie in keinem anderen Bundesland. Es gebe „nirgendwo Vergleichbares“, sagt Ingolf Hertel, Staatssekretär für Wissenschaft. Innerhalb von nur zehn Jahren sinken die Berliner Uni-Etats um ein Drittel. 2,6 Milliarden Mark flossen 1993 in die Hochschulen, im Jahr 2003 sollen es nur noch 1,8 Milliarden sein. Das Erstaunlichste daran ist: An den Universitäten selbst ist nach einer langen Phase des Jammerns von einem Schock nichts mehr zu spüren. „Wir sind nicht unglücklich, daß die FU kleiner wird“, verkündet gar Uni-Vizepräsident Peter Gaehtgens. Auch TU-Chef Jürgen Ewers will den Sparzwang nutzen, um „Ballast abzuwerfen“ und wenig exzellente Bereiche „auszudünnen“.
Berlins Haushaltspolitiker rechtfertigen den rabiaten Abbau mit einer „Überausstattung“ aus Westberliner Subventionszeiten. Nicht anders als die Verkehrsbetriebe waren die Hochschulen ein Instrument der Arbeitsmarktpolitik, von der aufgeblähten Verwaltung bis hin zur eigenen Druckerei. Auch war die FU bessser als andere Universitäten für den studentischen Massenansturm gerüstet: An vielen Instituten, von den Politologen bis zu den Germanisten, lehrten so viele Professoren wie nirgendwo sonst, und die Fachbereichsbibliotheken galten vielfach als die besten in Deutschland.
Der überbordende Personaleinsatz verzögerte notwendige Innovationen, die heute mangels Geld kaum noch aufzuholen sind. So sind die Bibliotheken technologisches Notstandsgebiet. Ohne angemessenen Ankaufsetat werden sie – mit viel Geld aufgebaut – schnell unbrauchbar. Die FU will gar als erste deutsche Universität für ihre Zentralbibliothek überhaupt keine Bücher mehr kaufen und das Geld an die einzelnen Institute verteilen.
Lange hatten die Haushaltsexperten im Landesparlament auf eine Studie über die Kosten der Berliner Studienplätze gedrängt. Seit dem Frühjahr liegen die Ergebnisse vor: Mit jährlich rund 9.000 Mark in den Sozialwissenschaften, 12.000 Mark in den Geisteswissenschaften und 20.000 Mark in den Naturwissenschaften kommt ein Studienplatz den Steuerzahler in Berlin kaum teurer als in anderen Ländern. Die vermeintlichen Fettpolster sind längst abgeschmolzen.
Mit um so größerer Energie sucht Wissenschaftssenator Peter Radunski (CDU) nach „neuen Einnahmenquellen“. Die Unis sollen „Benutzungs-, Verwaltungs- und Prüfungsgebühren“ erheben. Außerdem sollen sie bevorzugt Stellen für Sachbearbeiter, Bibliothekare oder Sekretärinnen streichen: Dieses „nichtwissenschaftliche Personal“ erhöht zwar die Kosten, nicht aber die Zahl der Studienplätze.
Obwohl die Uni-Etats um ein volles Drittel sinken, soll die Zahl der Studienplätze dank solcher Tricks nur um ein Viertel abnehmen – von 115.000 auf 85.000. Gelingt das nicht, geriete auch ein Berliner Prestigeprojekt in Gefahr: Die Naturwissenschaften der Humboldt-Universität sollen von Berlin-Mitte nach Adlershof im Südosten der Stadt umziehen, um der Umwandlung einer Industriebrache in einen Technologiepark den nötigen Rückenwind zu verleihen. An den Baukosten will sich der Bund aber nur beteiligen, wenn Berlin langfristig 85.000 Studienplätze behält, davon 12.000 in den teuren Naturwissenschaften.
Vor allem der knappe Zeitplan des Abbaus bringt die Unis ins Trudeln. Weil sie noch auf Jahre hinaus Personal bezahlen müssen, das eigentlich wegfallen soll, können sie im Gegenzug viele Stellen nicht besetzen, die für den Lehrbetrieb unverzichtbar sind. Vor allem Nachwuchswissenschaftler mit ihren kurzfristigen Zeitverträgen fallen also dem Sparzwang zum Opfer.
„Von 1992 bis 1998 sind allein an den drei Universitäten fast 1.000 Qualifizierungsstellen gestrichen worden“, klagt die stellvertretende GEW-Landesvorsitzende Brigitte Reich. Zudem sind über 400 Stellen derzeit nicht besetzt. Um Abhilfe zu schaffen, sollen die Hochschulen im großen Stil Gebäude verkaufen, die sie wegen ihres Diätprogramms ohnehin nicht mehr benötigen – auch dies ein bundesweit einmaliger Vorgang. Stundenweise eingekaufte Lehrbeauftragte müssen immer größere Teile des Pflichtprogramms übernehmen, weil Professoren und Assistenten fehlen, moniert der bündnisgrüne Abgeordnete Anselm Lange. An einzelnen Fachhochschulen müssen sie schon die Hälfte der Lehre übernehmen, „weil Stellen für hauptberufliches Lehrpersonal aus Gründen der Finanzsituation nicht in ausreichendem Umfang zur Verfügung stehen“, mußte Radunskis Wissenschaftsverwaltung eingestehen.
Angesichts der Misere fällt es selbst Radunski schwer, den Abbau als Reformprogramm zu verkaufen. Zwar betont sein neuer Staatssekretär Ingolf Hertel, der Senat wolle den Hochschulen „nicht nur den Scheck unter der Türe durchreichen“, sondern auch ein „neues Bewußtsein für die Lehre“ sehen. Doch ist die Studienreform für Radunski „vorrangig Sache der Hochschulen“. Im Klartext: Der Senat braucht sich um Details nicht zu kümmern.
Jetzt will Hertel mit einem Runden Tisch für Wissenschaft, Forschung und Innovation die Akteure dazu verpflichten, „Stärken wirklich zu stärken“. Der parteilose Physiker, der sich zuletzt für die Wissenschaftsstadt Adlershof engagierte, wirft dabei einen bemerkenswert kritischen Blick auf die Berliner Forschungslandschaft. Allzuoft würden „nur Stichworte wie Multimedia“ genannt, statt „wirkliche Schwerpunkte“ zu setzen.
Gleichwohl sei Berlin besser als sein Ruf, glaubt Staatssekretär Hertel. Schließlich habe das Land „die höchste Wissenschaftlerdichte pro Kopf der Bevölkerung“. Das gilt jedoch nur im Vergleich ganzer Bundesländer. Mit Städten wie München, das bei einem Drittel der Einwohnerzahl auf fast so viele Studenten kommt, kann Berlin kaum mithalten. Nicht umsonst hat Radunski jüngst die Berliner Hochschulen zur „nationalen Aufgabe“ erklärt.
Den Berliner Studenten nützt solch hehre Rhetorik vorerst wenig. In den kommenden Jahren werden reihenweise Professoren ohne Nachfolger in den Ruhestand gehen. Gleichzeitig steigen die Studentenzahlen seit 1994 wieder an. Die Hochschulen versuchen sich den Andrang per Numerus clausus vom Leibe zu halten. Allein an der Humboldt-Universität sind 67 Studiengänge zulassungsbeschränkt, damit ist kein wichtiges Fach mehr frei zugänglich. Wirklich harte Zeiten stehen den Berliner Studenten noch bevor.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen