: Bahn macht gegen Kunst mobil
In der Berliner Museumslandschaft kracht es. Dem Museum für Gegenwartskunst im Hamburger Bahnhof droht das Aus. Die Bahn AG will das Haus als Hotel nutzen ■ Von Rolf Lautenschläger
Berlin (taz) – Erich Marx, Kunstsammler und Mäzen, ist geschockt. Der 77 Jahre alte Berliner Bauunternehmer, der der Stadt einen Großteil seiner Exponate, darunter Werke von Andy Warhol, Cy Twombly, Roy Lichtenstein, Anselm Kiefer und Joseph Beuys als Dauerleigabe vermacht hat, spricht gar von einem Skandal. Denn knapp 24 Monate nach der feierlichen Eröffnung des „Museums der Gegenwart“, dem Tempel für moderne Kunst im eigens dafür hergerichteten Hamburger Bahnhof, droht seiner Sammlung die Entweihung.
Die Deutsche Bahn AG, Eigentümerin des 1847 erbauten Bahnhofs in der Nachbarschaft des Reichstags, will die Museumsnutzung einschränken und statt dessen im langen Ostflügel des Gebäudes ein Hotel mit teuren Suiten einrichten. Da könne man doch das Museum gleich dichtmachen, poltert Marx und droht mit dem Rückzug der berühmten Sammlung.
In der Tat hat die Bahn AG Anfang dieser Woche Pläne auf den Tisch gelegt, den Ausstellungsbahnhof in Teilen selbst zu nutzen. Hintergrund der Kunst-Attacke ist, daß sich die Bahn von einem im Regierungsviertel gelegenen Gästehaus hohe Einnahmen verspricht, zumal das H-förmige, neoklassizistische Gebäude zwischen 1992 und 1996 für 100 Millionen Mark saniert worden war und der noble Hotelflügel entlang des Spreekanals liegt.
Um die Wogen zu glätten, hat die Bahn gestern zwar Gespräche über eine Neuregelung der Gebäudenutzung angeboten und zugleich vorgeschlagen, den Bahnhof bis auf den besagten Ostflügel zu einem symbolischen Preis an das Land Berlin zu verkaufen. Dann, sagte Bahnsprecherin Marlene Schwarz, könne das Land die Immobilie weiterveräußern und das Geld für einen Erweiterungsbau im Westflügel investieren.
Die Museumsmacher der Stadt sind über die Absichten der Deutschen Bahn AG empört. In einem Schreiben an Wolf-Dieter Dube, Generaldirektor der Berliner Staatlichen Museen, kritisiert der für die Einrichtung der Marx- Werke maßgebliche Kurator, Heiner Bastian, das Ansinnen der Eisenbahner. Die Zukunft des Museums stehe auf dem Spiel. Eine solche Entscheidung bedeute die „Ungeheuerlichkeit der Zerstörung eines Gesamtkunstwerkes“. Auch Dube vertrat die Meinung, daß mit den Plänen der Bahn „ursprüngliche Vorstellungen beeinträchtigt“ werden.
Der Hamburger Bahnhof sei „der schönste Ort für Kunst der Gegenwart, den wir haben“, erklärte er. „Wir sind immer davon ausgegangen, daß wir das Gebäude in seiner gegenwärtigen Gestalt voll nutzen können.“
Bastian und Dube sind um so empörter, da die Berliner Kulturverwaltung dem Angebot der Bahn AG nicht ebenso ablehnend wie sie gegenübersteht. So hat Lutz Pufendorf, Staatssekretär von Kultursenator Peter Radunski (CDU), im Spiegel erklärt, daß er bereit sei, der Bahn den Ostflügel zu überlassen, um im Gegenzug die Immobilie erwerben zu können. Der Neubau des Westflügels könnte so finanziert werden.
Diese Strategie des Senats sieht die Berliner Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen genau als Gefahr für das Museum für Gegenwartskunst. „Künstlerisch ist dieses Vorhaben nicht vertretbar, kulturpolitisch ist es ein Skandal“, betonte deren kulturpolitische Sprecherin der Abgeordnetenhausfraktion, Alice Ströver. Die Kulturverwaltung habe in dem Fall offensichtlich geschlafen. Jetzt müßten die Vertragsverhältnisse mit der Bahn lückenlos offengelegt und geklärt werden, wer verantwortlich dafür sei, daß die Bahn mit solchen Forderungen kommen könne.
Ströver forderte die Bahn auf, diesen attraktiven Kulturstandort Berlins nicht zu gefährden. Sollte der Sammler Erich Marx mit seiner Drohung Ernst machen, seine Kunstwerke aus dem Hamburger Bahnhof abzuziehen, „wäre dies das Aus für das Museum“, meinte Ströver.
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