„Doppelte Null-Lösung“

■ Überraschende Personalentscheidungen: Diejenigen, die in der letzten Legislaturperiode noch den Kurs der grünen Fraktion bestimmten, sind bei der Postenvergabe meist leer ausgegangen

Eins rechts, eins links, zwei fallen lassen: Die Personalpolitik von Bündnis 90/Die Grünen ergibt ein hübsches Strickmuster. Strömung, Quote und Proporz galt es zu bedenken, und unvermeidliche Enttäuschungen sollten wenigstens gerecht verteilt werden. Für den einen oder die andere war allerdings der Traumjob drin: Der Parteilinke Ludger Volmer darf als Staatsminister ins Auswärtige Amt, dafür geht Afrikaexpertin Uschi Eid vom realpolitischen Flügel als Staatssekretärin ins Entwicklungsministerium. Andere wurden von Rivalen zu Leidensgenossen und schauen jetzt gemeinsam in die Röhre. Der Wettlauf zwischen Cem Özdemir von den Realos und der linken ehemaligen Europaabgeordneten Claudia Roth wurde von Marieluise Beck gewonnen. Sie ist die lachende Dritte und kann sich völlig überraschend über den Posten der Ausländerbeauftragten freuen.

Andere haben wenig Grund zur Freude. Ausgerechnet die meisten derjenigen, die in der letzten Legislaturperiode den Kurs der Fraktion bestimmend mitgeprägt hatten, sind vom Personalkarussell heruntergefallen. Die Finanzexpertin Christine Scheel, der parlamentarische Geschäftsführer Werner Schulz, die verteidigungspolitische Sprecherin Angelika Beer und der Haushaltspolitiker Oswald Metzger bleiben alle, was sie sind: Abgeordnete. Staatssekretärinnen werden dagegen ihre Fraktionskolleginnen Simone Probst und Gila Altmann im Umweltministerium sowie Christa Nickels, die im Gesundheitsministerium für Drogenpolitik zuständig sein soll. Das Personaltableau sei „die doppelte Null-Lösung“, spottet einer der wenigen Bündnisgrünen, der selbst bisher gar kein Interesse an einem Amt angemeldet hat. Es sei nicht darum gegangen, die wichtigsten Posten mit den stärksten Kräften zu besetzen, sondern vor allem darum, Ärger so weit wie möglich zu vermeiden.

Bis ganz nach oben hat es nur eine von der Parteiprominenz aus der zweiten Reihe geschafft – die künftige Gesundheitsministerin Andrea Fischer, die sich als Sozialexpertin einen Namen gemacht hat und mit den traditionellen Strömungen wenig anfangen kann. Sie hat beim Karrieresprung viel Glück gehabt. Die Grünen hätten lieber das Justizministerium gewollt und mit Renate Künast besetzt. Aber da ließ die SPD nicht mit sich reden, und so muß die Berliner Fraktionssprecherin vorläufig vor der Tür bleiben. Vielleicht steht sie da nicht einmal ungern. Sie wird jetzt als mögliche Nachfolgerin von Parteichef Jürgen Trittin gehandelt.

Der läuft seit einigen Tagen so fröhlich wie nie zuvor durch Bonn. Ermüdungserscheinungen sind ihm trotz allem Streß nicht anzumerken. „Mit Adrenalinschüben brauchen Sie keinen Urlaub“, meint er vergnügt. Ein paar Dosen davon stehen ihm noch bevor. Bevor er Umweltminister werden kann, muß erst eine Bundesdelegiertenkonferenz den Koalitionsvertrag absegnen, und grüne Parteitage waren schon immer für Überraschungen gut. Trittin: „Es wird irgendwas passieren. Ist doch klar. Passiert doch immer was.“

Der scheinbare Fatalismus kann die innere Zufriedenheit nicht überspielen. Vom hohen Wert des Koalitionsvertrages ist der Parteichef überzeugt, vor allem mit Blick auf die Kompromisse bei den Themen Ökosteuer, Atomausstieg und Reform des Staatsbürgerschaftsrechts: „In den drei für uns zentralen Schlüsselbereichen haben wir das erreicht, was wir eigentlich durchsetzen wollten.“

Gewahrt sind innerhalb der Koalition auch die Interessen seiner Strömung, der Parteilinken. Befürchtungen aus deren Reihen, daß Joschka Fischer sie zur Bedeutungslosigkeit verdammen wollte, haben sich nicht bestätigt. Mit der Berufung von Volmer hat der künftige Außenminister gezeigt, daß er auf Integration aller Gruppierungen setzt.

Joschka Fischer hätte sogar gerne Angelika Beer als Staatssekretärin auf der Hardthöhe gesehen. Das jedoch scheiterte am Widerstand von Rudolf Scharping. Die Betroffene selbst hält das für politisch unklug: „Ich begrüße den ersten entscheidenden Fehler ausdrücklich. Scharping hätte die Grünen auf der Hardthöhe miteinbinden und damit den aktiven Friedensbereich blockieren können. So freue ich mich auf eine konstruktive, kritische Zusammenarbeit.“ Angelika Beer will sich künftig vor allem dem Thema Abrüstung widmen.

„Strömungsloyalität schlägt Frauensolidarität“, war in den letzten Wochen aus der Partei immer wieder zu hören gewesen, und es ist bisher auch kein nennenswerter Widerspruch dagegen laut geworden, daß die Frauenquote auf Kabinettsebene nicht erfüllt sein wird. Immerhin wird die bittere Pille erheblich versüßt, nicht nur mit der Vielzahl von Staatssekretärinnen. Mit einer Frau soll außerdem der frei werdende Posten eines EU-Kommissariats besetzt werden, für den die Grünen laut Koalitionsvertrag das Vorschlagsrecht bekommen. Mit Antje Vollmer bleibt darüber hinaus eine Frau Vizepräsidentin des Bundestages.

Ob das alles dem Parteitag reicht? Mehrere Anträge deuten darauf hin, daß böser Streit woanders droht. Die Trennung von Amt und Mandat, eine der Säulen grüner Parteigeschichte, würde verlangen, daß Minister ihre Bundestagsmandate abgeben. Die hielten das aber für politisch gefährlich und wollen nicht. Es bleibt spannend. Bettina Gaus, Bonn