: Sekretärinnen, Sessel und Selbstanalyse
■ „Management by Love“ und in der Krise: Urs Widmers Top Dogs in der Heinrich-Heine-Villa
Jeden kann es treffen, aber einige trifft es auf den ersten Blick weicher: Ein Top Dog wird nicht auf die Straße gesetzt, sondern in eine Outplacement-Agentur geschickt. Doch nicht nur der Name ist ein Euphemismus, auch die Hardware. In gewohnter Umgebung samt Sekretärin und Kaffemaschine sollen dort gefeuerte Manager ungewohnte Fertigkeiten einüben – etwa über sich selbst zu reden. Sich neuen Anforderungsprofilen stellen, wie es im Managersprech heißt. Die fachgerechte Ausdrucksweise sorgt auch dafür, daß sich die Wahrheit manchem erst mit Verspätung erschließt. „Sie sind entlassen!“ – „Entlassen? – Hören Sie. Das hätte man mir gesagt.“
Urs Widmers Stück Top Dogs nimmt sich des mittleren Mangements an, und die geschilderten Praktiken sind nicht aus der Luft gegriffen. Der Uraufführung am Züricher Neumarkttheater vor zwei Jahren gingen umfangreiche Recherchen bei Betroffenen und einschlägigen Agenturen voraus. „Lean Management“, die Praxis, die mittlere Ebene ersatzlos zu kappen, ist ein Massenphänomen der 90er Jahre. Auch Michael Heicks, Regisseur am Thalia Theater, hat sich umgehört. Seine Inszenierung von Top Dogs, höchst passend in das gediegene Ambiente der Heinrich-Heine-Villa an der Außenalster plaziert, mußte den örtlichen Bedingungen angeglichen werden. Doch allzuviele Änderungen waren gar nicht nötig.
Die sieben SchauspielerInnen treten unter ihren eigenen Namen auf und wechseln ständig die Rollen; eine Aufgabe, zu der die Teilnehmer an Outplacement-Seminaren ebenfalls gezwungen sind. So werden in Rollenspielen die Sessel getauscht, und die Gefeuerten müssen ihre Entlassung nachspielen – diesmal als ihr eigener Chef. Das theatralische Gegengewicht zu den aus der Realität entlehnten Szenen liefern opulente Schlachten mit Fachtermini: „Optimum workforce mix“ trifft auf „Management by love“, und was das heißt, weiß der Manager allein.
Es sei merkwürdig für Schauspieler, in die Haut von Menschen zu schlüpfen, die mit ihren Gefühlen überhaupt nicht umgehen können, sagt Heicks. Schadenfreude sei aber natürlich der falsche Zugang zur Welt der Halb- und Viertelreichen: „Das Einfachste ist, sie ernst zu nehmen.“
Barbora Paluskova
Premiere: Freitag: 23. Oktober, 20.00 Uhr, Heinrich-Heine-Villa, Harvestehuder Weg 41, Kartentelefon: 32814444
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen