: Stimmen ohne Grenzen
■ Die Vorschau: Bei einem kleinen Festival erklingen ab heute Gesänge aus Bulgarien, der sephardischen Tradition sowie aus der Stadt Tuva gleich an der Grenze zur Mongolei
Am Anfang war die Stimme. Und noch immer üben die Eigenarten und die Besonderheiten dieses ursprünglichsten aller „Instrumente“ eine besondere Faszination aus, unabhängig vom ungebremsten Trend zu elektronisch erzeugten Sounds und Klängen in der populären Musik. Drei herausragende Ensembles, bei denen die Stimme, ausgefallene Gesangstechniken und die ihnen zugrundeliegenden musikalischen Traditionen eine besondere Rolle spielen, präsentiert das Bremer Label Jaro in den kommenden drei Tagen.
Den bulgarischen Frauenchor Angelite – The Bulgarian Voices, die Gruppe Sarband und das tuvinische Quartett Huun-Huur-Tu verbindet bei aller Unterschiedlichkeit der Traditionen, auf die sie sich beziehen, der Umstand, daß sie auf zum Teil mehrere hundert Jahre alte musikalische Überlieferungen zurückgreifen.
Die bulgarischen Sängerinnen des Chors Angelite braucht man in Bremen wohl nicht mehr vorzustellen, sie sind „Die bulgarischen Stimmen“. Ihr vor zehn Jahren in der Unser-Lieben-Frauen-Kirche aufgenommener Auftritt ist Legende. Doch jetzt warten sie mit einem ganz neuen Programm und völlig anderem Gesangsstil auf. Bei der Spurensuche nach historischer bulgarischer Musik stieß der Chor auf die liturgische Musik der orthodoxen Kirche in Bulgarien. Das Besondere daran: Üblicherweise werden die orthodoxen Gesänge von Männerchören vorgetragen, in Bulgarien gibt es aber auch eine Tradition von Nonnengesängen. Außerdem unterlag die bulgarische Kirchenmusik dem starken Einfluß heimischer Volksmusik.
So entwickelten sich Liturgien, die etwas abseits der seit einigen Jahren in Mode gekommenen gregorianischen Gesänge, aber auch der griechisch-byzantinischen Traditionen der Ostkirchen liegen. Diese Musik, deren Wurzeln bis ins 9. Jahrhundert zurückreichen, präsentieren die „Bulgarischen Stimmen“ in deutlich anderem als dem gewohnten Gesangsstil – und als Uraufführung.
Die Gruppe Sarband ist das Projekt des Perkussionisten und klassisch ausgebildeten Laute-Spielers Vladimir Ivanoff. In wechselnden Besetzungen spürt Sarband den unterschiedlichsten Wurzeln alter Musik nach, insbesondere den Einflüssen islamischer und jüdischer Musikkulturen. Das aktuelle Programm widmet sich der Musik der sephardischen Juden Spaniens, die mit der Reconquista 1492 aus Spanien vertrieben wurden. Ihre Musik lebte in einigen Regionen Nordafrikas, Arabiens und der Türkei, die früher zum osmanischen Reich gehörten, weiter. In dieser Musik sind von Anfang an die Traditionen des Orients mit denen des Okzidents verschmolzen. Auch hier spielt der Gesang eine besonder Rolle, im Zentrum steht die Stimme der libanesischen Sängerin Fadia El Hage.
Die archaisch klingenden Kehlkopf- und Obertongesänge aus Tuva, der kleinen zentralasiatischen Republik an der Grenze zur Mongolei, beherrscht das Quartett Huun-Huur-Tu in all ihren Spielarten meisterhaft. Dabei beschränkt die Gruppe sich keineswegs auf alte, tradierte Melodien oder Vortragsstile, sondern reflektiert auch neuere Entwicklungen. „Wir möchten die musikalischen Farben unterschiedlicher Zeiten in Tuva zeigen, von den ganz alten Zeiten bis heute“, erläutert das Ensemble die eigene Herangehensweise. Insbesondere für europäische Ohren klingt der Obertongesang, bei dem eine Stimme bis zu drei Tonfolgen gleichzeitig erzeugen kann, faszinierend fremdartig.
Das Festival bietet eine einmalige Gelegenheit, sich alter Musik unter ganz anderem als gewohntem Blickwinkel zu nähern.
Arnaud
Angelite – The Bulgarian Voices heute, Donnerstag, um 20 Uhr im Kleinen Saal der Glocke; Sarband morgen um 20 Uhr ebenfalls im Kleinen Saal der Glocke; Huun-Huur-Tu am Samstag (24.) um 20 Uhr im Moments
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