Henning Harnisch: Schütteln und Backen
■ Große Männer braucht das Land - und gute Bücher auch
Let's talk about Kareem!
Kareem Abdul-Jabbar ist eine Ikone, eine Legende, einer der Größten, die jemals Basketball gespielt haben – und das nicht nur wegen seiner 2,18 Meter. So groß und dominant, daß sich die Offiziellen während seiner sportlichen Uni-Karriere sogar veranlaßt sahen, die Spielregeln zu ändern und den Dunking zu verbieten! Kareem konterte damals mit der Perfektionierung des Hakenwurfes, eines sanft geschwungenen, mit einer Hand geführten, einen Halbkreis beschreibenden, am höchsten Punkt die Hand verlassenden, mit hohen Bogen über die Verteidiger hinwegsegelnden Wurfes, der meist im Korb (Swisshhh!) landete. Kareem und der Sky-Hook („Himmels-Haken“) wurden zu einem Synonym.
Ob Haken oder Dunking, Kareem holte mit seiner Mannschaft (UCLA) dreimal in Folge die College-Meisterschaft, um dann in 20 (!) Spielzeiten in der NBA sechsmal den Titel zu gewinnen – einen mit den Milwaukee Bucks, fünf mit den Los Angeles Lakers. 1989 warf er, inzwischen 42 (!) Jahre alt, seine letzten Sky-Hooks für die Lakers.
Let's talk about Kareem!
Kareems Statistiken sind weiterhin amtlich und über moderne Medien abrufbar, die Menge der Punkte (38.387), die er während seiner Karriere erzielt hat, auch für Michael Jordan uneinholbar, und selbst die Ästhetik des Sky- Hooks läßt sich auf diversen Highlight-Videos begutachten. Was wäre nun, wenn Kareem, außer archivfüllende Sportstatistiken zu liefern, ein Buch schreiben würde, das nicht nur einen Eindruck über das Leben eines Sportlers vor, während und nach dem Spiel vermittelt, sondern vor allen Dingen eine differenzierte Meinung über die Themen des Lebens anbietet, die sich nicht durch einen Dunking lösen lassen. Schön wäre es, würde man erfahren können, aus welchen Gründen der in den sechziger Jahren in Harlem aufgewachsene Lew Alcindor zum Islam konvertierte und den Namen Kareem Abdul-Jabbar annahm – was soviel wie großzügiger, kraftvoller Diener Gottes heißt. Wie er sich seiner schwarzen Hautfarbe bewußt wurde, schon während seiner High-School-Zeit politisch aktiv war und aus politischen Gründen die Olympischen Spiele 1968 boykottierte. Kareem könnte über den Vietnamkrieg, seine Erfahrungen mit Drogen, seine Jazzleidenschaft reflektieren. Ein vielschichtiges, zeitgeschichtliches, kulturelles Porträt einer Persönlichkeit würde entstehen, das ohne pädagogisch sein zu wollen, lehrreich wäre.
Lehrreich ist! Denn Abdul- Jabbar schrieb dieses Buch 1983 zusammen mit dem Journalisten Peter Knopfler. Es heißt „Giant Steps“, was nicht zufällig auf einen Albumtitel der Jazz-Ikone John Coltrane verweist. Nicht weiter erstaunlich ist es, daß „Giant Steps“ niemals auf deutsch erschien, mehr als erstaunlich und ärgerlich aber, wenn besagte Autobiographie, die ein Standardwerk für den amerikanischen Geschichtsunterricht sein sollte, auch im Mutterland des Basketballs nur als vergriffen im Computer des Buchhändlers auftaucht.
Bevor ich mich nun aber über diesen Mißstand richtig aufrege, möchte ich lieber darauf hinweisen, daß der in Buchform vergriffene Kareem lebt, sich mit der Geschichte der schwarzen Cowboys Amerikas beschäftigt, über das Internet kommuniziert (kaj @kareem.com), daran arbeitet, seine riesige Jazzkollektion, die komplett verlorenging, als sein Haus abbrannte, wieder zu vervollständigen, sowie im kommenden Winter als unbezahlter Trainer mit Indianern im Reservat zu arbeiten.
Ich aber habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, daß eines Tages „Giant Steps“ wie selbstverständlich mit John Coltrane und Kareem Abdul-Jabbar assoziiert wird. Zum Abschluß ein Anekdötchen aus dem Buch. Kareem berichtet über einen Spieler aus den guten, alten Tagen der Liga, der, bekannt für seine kriminelle Energie, eines Tages beschließt, einen Kaufmannsladen in seinem Wohnviertel zu überfallen. Nun ist Reggie, so der Name des Spielers, zwar maskiert, aber auch 2,10 m groß und mehr als bekannt, was zu folgendem Dialog mit dem Verkäufer führt: „I know it's you, Reggie.“ „No, it ain't me, man. Shut up and give me the money.“
Let's talk about Kareem!
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