: Ein Kessel Buntes
Ein Bauchladen voller Projekte, ein Schuß politischer Ehrgeiz und ein Hauch von Hollywood. Der künftige Staatsminister Michael Naumann spricht Kulturpolitik ■ Von Harry Nutt
Zwischen den großen Verkehrsverbindungen, die Berlin von West nach Ost und Nord nach Süd durchziehen, gibt es kleine Verbindungsstraßen, die den großen Verkehr erheblich entlasten und doch so eine Art Geheimtip im städtischen Autoverkehr darstellen. Eine dieser Verbindungen ist die Naumannstraße, die den Bezirk Schöneberg mit Kreuzberg verknüpft, ohne daß hier mit Stau zu rechnen wäre.
Die Naumannstraße ähnelt ein wenig der Abteilung K., die Michael Naumann als zukünftiger Staatsminister für Kultur im Bundeskanzleramt als Quasi-Kulturministerium einrichten möchte. Vieles soll in Fluß kommen. Das geht im Falle Naumanns nicht ohne formale Tricks. Staatsminister müssen nach geltendem Recht Mitglieder des Deutschen Bundestags sein, doch über ein Mandat verfügt er eben nicht. Kein Problem. Eine klitzekleine Gesetzesänderung verhilft dem agilen Ex-Verleger zur Inthronisierung. Statt des Wörtchens „müssen“ wird in dem Passus künftig stehen: Staatssekretäre sollen Mitglied des Parlaments sein.
Mit solcher Leichtigkeit und der Lust auf unkonventionelle Lösungen gedenkt der politische Quereinsteiger Naumann auch in Zukunft die Belange der Kultur zu verfolgen. Das Verkehrsaufkommen in der Naumannstraße war gestern enorm angestiegen. In den Berliner Tagesspiegel und die Zeit, beides Blätter des Holtzbrinck- Konzerns, der auch den Verleger Naumann einmal unter Vertrag hatte, schickte er einen bunten Strauß aus Projekten und Haltungen, die schon jetzt die Vorstellung von Kulturpolitik als dröger Beschäftigung für graue Staatsbeamte gründlich verändert haben. Der Naumannsche Ideen-Input reichte gestern von Vorstellungen im Kampf um die Buchpreisbindung bis hin zu einer Alternative für das Holocaust-Mahnmal. Statt des Entwurfs von Peter Eisenman will sich Naumann an dem Vorschlag von György Konrád orientieren, der eine parkähnliche Anlage vorgeschlagen hatte. Als Ergänzung will Naumann einen Teil der Shoah-Foundation in Berlin ansiedeln. Die vom Filmregisseur Steven Spielberg gegründete Stiftung hat bis heute knapp 48.000 Interviews mit Holocaust-Überlebenden in 51 Ländern geführt.
Wo Argumentstau war, soll Projektvermehrung werden. Eine Stiftung für verfolgte Schriftsteller soll her, mit der Autoren im Exil für zwei Jahre die Lebensgrundlage gesichert werden wird. Geplant ist außerdem die Einrichtung eines Jüdisches Theaters, das in einem der leerstehenden Berliner Theater Unterschlupf finden könnte. Finanziell eigenständig, sprich erfolgreich und künstlerisch anspruchsvoll soll's dort zugehen.
Naumanns kulturpolitischer Bauchladen ist eifrige Ideenproduktion vor dem Hintergrund eines illustren Personennetzwerkes. Buchleute haben viele Freunde. Für sein Projekt Jüdisches Theater habe er bereits mit Luc Bondy, Peter Zadek und Irene Dische gesprochen, und daß demnächst auch Woody Allen mitmischt, wagt man nicht zu bezweifeln. Mit Naumann rückt Hollywood ein Stückchen näher an Berlin ran, und wenn es mehr ist als ein conversation piece vor der Kanzlerwahl, dann darf man auf die Realisierung der Projekte gespannt sein. Naumann scheint es jedenfalls ernst damit, der Kulturpolitik Glanz zu verleihen, wo bislang schnöde Kompetenz- und Zuständigkeitsfragen das Feld bestellten.
Wenn der Medienmann Naumann ins Horn tutet, hallt stets das Echo nach: Darf der denn das? Es wird in der Tat die Frage sein, inwieweit es Michael Naumann gelingt, seine ehrgeizigen Projekte in einen administrativen Apparat zu überführen, wo Kulturhoheit der Länder und die Zuständigkeiten einzelner Ministerien einander bislang beargwöhnten. Einige Fragen regelt die Koalitionsvereinbarung. Die Goethe-Institute verbleiben unter der Obhut des Außenministeriums, aber bei Schließungen und Neueröffnungen soll der Staatsminister für Kultur mit einbezogen werden.
Manches aus der Ideenküche Naumanns klingt absonderlich, einiges interessant, und das eine oder andere verspricht spannend zu werden. In der Kulturpolitik hat man demnächst mit Überraschungen zu rechnen. Naumann hat es bislang verstanden, Sinnvolles, Machbares und Traumtänzerisches miteinander zu verknüpfen. Daß er auch politischen Biß besitzt, zeigt die Ankündigung, in Sachen Buchpreisbindung bilaterale Verträge mit Österreich und Frankreich abzuschließen. Wenn dem europäischen Wettbewerbskommissar van Miert das nicht paßt, so Naumann, kann er ja klagen. Das zeugt von Politiknähe. Internationale Gerichtsverfahren können dauern und bringen der Buchbranche vielleicht hilfreichen Zeitgewinn.
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