Opposition ganz und gar schlecht gelaunt

Der CDU geht es nicht sehr gut. Der Brandenburger CDU ging es nie gut. 20 Prozent, Frust und Intrigen prägen die Konservativen im Stolpe-Land, deren neuer und sechster Chef nun der Berliner Innensenator Schönbohm werden soll  ■ Von Jens Rübsam

Seit Tagen spucken die Zeitungen Häme. Bei der Bundestagswahl am 27. September stürzte die Brandenburger CDU auf 20,8 Prozent, die Kommentatoren befanden nüchtern: „Ein Niedergang“. Bei der Kommunalwahl am gleichen Tag sah sich die Brandenburger CDU bei 21,4 Prozent und abermals hinter SPD und PDS; lax wurde konstatiert: „Ein desolater Landesverband“. Vier Tage später tat Parteichef Peter Wagner leise, per Fax und auf 16 Zeilen, seinen Rücktritt kund; belustigend hieß es: „Eine erneute Wachablösung. Nach der Wende die insgesamt fünfte.“

Stunden später meldete Landtagsfraktionschef Wolfgang Hackel lautstark vor Journalisten seinen Anspruch auf den Parteivorsitz und die Spitzenkandidatur für die Landtagswahl im Herbst nächsten Jahres an; süffisant wurde angemerkt: „Wagner und Hackel trinken kein Bier mehr miteinander.“ Eine Woche später zog Hackel – der Landesvorstand hatte ihm die Gefolgschaft versagt – seine Kandidatur für den Landesvorsitz zurück, kündigte an, auch nicht mehr als Spitzenkandidat für die Landtagswahl zur Verfügung zu stehen, bezichtigte Nochparteichef Wagner einer „Intrige“ und brachte – überraschend – Berlins Innensenator Jörg Schönbohm ins Pöstchenspiel; in den Zeitungsspalten war von einer „schweren Führungskrise“ die Rede.

Die Mitglieder des CDU-Ortsvereins Rangsdorf demonstrieren dieser Tage trotzig Frohsinn. Im Klubhaus „Waldhöhe“ verteilt die Vorsitzende Ferrero-Küßchen. Ein älterer Herr verschenkt Blumen. Es gibt Bockwürste und Bier. Der Wirt legt „Lieder aus dem weiten Rußland“ auf. Rangsdorf im südlichen Brandenburg hat erstmals seit 1954 wieder einen CDU- Bürgermeister. „Wir sind“, frohlockt Heinz Nätsch, ein ruhendes CDU-Mitglied, „ein gallisches Dorf.“ Brandenburg ist rot. Die SPD regiert wie die CSU in Bayern, Stolpe so selbstgefällig wie einst Strauß. Und in Rangsdorf regiert seit dem 27. September der freundliche Herr Gleich von der CDU. Und wartet noch heute auf einen Dank von seiner Parteiführung.

„Nicht zu gratulieren, ist eine politische Unanständigkeit“, poltert Herr Nätsch durch das Klubhaus „Waldhöhe“. Aber was ist schon anständig in der CDU- Spitze Brandenburgs? Herr Nätsch bescheinigt den Damen und Herren in der Postdamer Parteizentrale „Profilierungssucht“. Deswegen hat er vor zwei Jahren seine Mitgliedschaft ruhen lassen. Die junge Ortsvorsitzende Muschinsky spricht von „Karriereleuten“ und „Pöstchengerangel“. Deswegen hat sie schon manchmal daran gedacht, aus der CDU auszutreten.

Aber Rangsdorf hat Schwarz gewählt. Frau Muschinsky darf den Galliersieg ihrem Ausharren und ihrer Fleißarbeit zuschreiben. Herr Nätsch muß noch immer wettern gegen die Damen und Herren in Potsdam, jetzt, nach den Querelen der vergangenen Tage, erst recht. Lothar Bisky, Vorsitzender der PDS-Fraktion im Potsdamer Landtag, kann genüßlich das Wort „ätzend“ im Munde führen, wenn er den Zustand der CDU-Brandenburg beschreiben soll. Die SPD amüsiert sich weiterhin köstlich über die in schöner Regelmäßigkeit wiederkehrenden Zerfleischungsarien der märkischen Christdemokraten.

Fünf Parteivorsitzende hat die CDU-Brandenburg in acht Jahren verbraucht. Der erste, Herbert Schirmer, letzter DDR-Kulturminister, trat entnervt der SPD bei. Der zweite, Lothar de Maizière, stolperte über seine Stasi-Vergangenheit. Der dritte, Ulf Fink aus dem Westen, kam im Osten nicht an. Die vierte, Carola Hartfelder, galt als inkompetent und profillos. Schon Monate nach ihrer Abwahl wurde sie auf der Gründungsversammlung der national-konservativen „Offensive für Deutschland“ gesichtet, angeblich ein „normaler Informationsbesuch“. Der fünfte, Peter Wagner, hat den freien Fall seiner Partei auf mittlerweile 20 Prozent zu verantworten. Wie viele Generalsekretäre, Fraktionsvorsitzende und Pressesprecher in der Brandenburger CDU inzwischen ausgewechselt wurden, kann keiner mehr nachzählen – will auch keiner mehr nachzählen.

Würde es ein Buch mit dem Titel „Die Geschichte der CDU Brandenburg“ geben, man müßte dem Kapitel „Intrigen“ viel Platz einräumen. Es kam vor, daß Landtagsabgeordnete an die 8.000 Mitglieder einen offenen Brief verfaßten, darin dem Parteivorsitzenden Konzeptionslosigkeit, politische Fehlleistungen und Hetzkampagnen gegen Fraktionsmitglieder vorwarfen und seinen Rücktritt forderten; der Parteivorsitzende weilte gerade auf Teneriffa im Urlaub. Es kam vor, daß am Morgen eines Parteitages, auf dem der Vorsitzende gewählt werden sollte, von parteiinternen Kritikern ein Gegenkandidat lanciert wurde; auf den Vorsitzenden entfielen 62 Prozent der Stimmen, der Mann war düpiert. Es kam vor, daß ein Generalsekretär verjagt wurde, weil er ein Wessi war, jung und aufstrebend, und weil gemunkelt wurde, er werde vom Konrad-Adenauer- Haus hofiert. Es kam regelmäßig vor, daß aus der Ferne der ehemalige Fraktionschef im Potsdamer Landtag, Peter-Michael Diestel, einst letzter DDR-Innenminister, stichelte; „lächerlich“ nannte er die Brandenburger CDU unter Führung Wagners und sah die Partei „auf die Fünfprozenthürde“ zutreiben.

Würde es dieses Geschichtsbuch geben, ein Kapitel müßte unbedingt die Überschrift „Lustige Geschichten“ bekommen. Geschichten, die CDUler über CDUler erzählen und die gerne Journalisten gesteckt werden. Wie ein Landtagsabgeordneter im Vollrausch in den Wagen eines Fraktionskollegen urinierte. Wie ein anderer seine Jacke nebst Brieftasche im Puff vergaß. Wie ein dritter benutzte Taschentücher in seiner Ablage fand. Hübsche Geschichten. Fiese Geschichten. Intrigen. Querelen. Peinlichkeiten. Wenn es sein muß, und auch wenn es nicht sein muß, hiebt und sticht jeder gegen jeden in der Führungsriege der Brandenburger CDU. Keiner kann so richtig mit keinem.

Das mag, um den Versuch einer Erklärung willens, an den Biographien der Personen liegen. Ehemalige Bürgerrechtler wie der Pfarrer Rainer Eppelmann prallten auf Stasi-Belastete wie de Maizière und den Abgeordneten Häßler, der sich trotz dringenden IM-Verdachts stets als frenetischer Antikommunist präsentierte. Wessis wie Ulf Fink und der Nochfraktionsführer Wolfgang Hackel stießen auf Blockflöten wie es einige der 18 Landtagsabgeordneten sind. Und dazwischen schreien die neuen und die jungen CDUler nach Beachtung. Wie Sven Petke, der schlaksige JU- Chef, der einmal verlangte: „Die Hälfte der CDU-Fraktion im Landtag müßte ausgewechselt werden.“ Ihm wurde sofort ein Maulkorb verpaßt.

Im Klubhaus „Waldhöhe“ zu Rangsdorf werden derweil Bockwürste ausgezurrt und Ferrero- Küßchen ausgewickelt. Die schweren Taiga-Klänge sind verstummt. Draußen weht ein strenger Wind. Drinnen wünschen sich das ruhende Mitglied Herr Nätsch einen „starken Mann“ an der Spitze des Landesverbandes, Herr Wirth eine „Autoritätsperson“, Frau Muschinsky kein „Weichei“, sondern einen, der auf den Tisch haut.

Einen wie Jörg Schönbohm, Berlins Innensenator, Saubermann und General a. D. Als „Hardliner“ hat sich Schönbohm in der Hauptstadt dieses Jahr bestens bewährt: Zuzugssperre für Ausländer in einigen Bezirken; Einschränkung der Versammlungsfreiheit; gegen eine multikulturelle Gesellschaft; Kürzung der Sozialhilfe für Ausländer, die nicht Deutsch lernen wollen. PDS-Chef Bisky befürchtet, daß die Brandenburger CDU mit Schönbohm einen „Ruck nach rechts“ macht. SPD-Landeschef Steffen Reiche erwartet von Schönbohm, daß er „beim Kampf gegen Fremdenhaß“ nicht polarisiert und das Projekt „Tolerantes Brandenburg“ nicht gefährdet.

Jörg Schönbohm lebt gern in Brandenburg. „Wir sind in der Heimat angekommen“, pflegt er für sich und seine Frau zu sagen. Schönbohm wurde in Neu-Colm im Kreis Beeskow-Storkow geboren. 1996, nach seinem Amtsantritt in Berlin, zog er wieder ins Märkische, nach Kleinmachnow, einem Dörfchen gleich hinter der Berliner Stadtgrenze. Gern spaziert er durch seinen Garten, in dem eine 250 Jahre alte Eiche steht. Gern lädt er Gäste zu einem Fest und rühmt sich, daß Intendanten von Staatsoper und Schauspielhaus darunter sind. Urlaube verbringt er in märkischen Wäldern, Weihnachtsfeste zu Hause. Seine Frau Eveline spielt Klavier, die Enkelkinder tollen im eleganten Einfamilienhaus, der Hausherr bevorzugt eine graue Wildledercouch zum Nachdenken.

Anfang nächster Woche will sich Schönbohm entscheiden: Parteichef im Land werden und Gegner von Stolpe bei der Landtagswahl? Oder Innensenator von Berlin bleiben? Gefahr laufen, im nächsten Jahr, wenn auch in der Hauptstadt Parlamentswahlen anstehen, ohne Amt zu sein? In Berlin rechnet sich längst Rot-Grün. Keinen Platz im Abgeordnetenhaus innezuhaben? In Berlin gilt das Wohnortprinzip, der Brandenburger Schönbohm kann nicht kandidieren. Also doch nach Brandenburg?

Zu Rainer Eppelmann? Der letzte DDR-Verteidigungsminister hatte ihm, dem Befehlshaber des Bundeswehrkommandos Ost in Strausberg, am 3. Oktober 1990 90.000 Soldaten übergeben und bezeichnet ihn heute als „Mann, der gut ist“. Zu dem cholerischen Nochfraktionschef im Potsdamer Landtag, Wolfgang Hackel? Hackel ist seit JU-Zeiten ein Freund des Berliner Regierenden Bürgermeisters Eberhard Diepgen. 1973 tourten beide durch Ost-Berlin, Anlaß: Die Weltjugendfestspiele. Es ist kein Geheimnis, daß der zackige Schönbohm und der zaudernde Diepgen nicht gerade die besten Freunde sind.

Spekuliert wird, ob Hackel mit seinem umtriebigen Vorstoß, Schönbohm öffentlich auf Brandenburg festzunageln, Diepgen Schützenhilfe leistete, den General loszuwerden. Zu all den Muschinskys, Nätschs und Wirths an der Basis? Die Mitglieder des Rangsdorfer Ortsvereins verhehlen nicht, daß sie lieber einen Typ Landesvater sehen würden, knuddelig, volksnah und zum Anfassen, eben einen wie Manfred Stolpe. Aber, so herrscht schließlich doch Einvernehmen, Führungsstärke ist wichtiger, wichtig vor allem, um Ordnung in den Laden Landesvorstand zu bringen.

Mit markigen Worten ist Schönbohm in Brandenburg schon aufgefallen, bevor er überhaupt „Ja, ich will“ gesagt hat: Mehr Dialog. Weniger Streit. Stolpe eine wertorientierte, konservative, im besten Sinne bürgerliche Position entgegensetzen. Und: unbedingte Disziplin.

Für die Landtagswahl im nächsten Jahr haben die Christdemokraten höchstens 16 sichere Listenplätze zu vergeben. 44 Kandidaten haben schon Bedarf angemeldet. Es rumort schon wieder.