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Ein Mordsspektakel der Eitelkeiten: „Double für eine Leiche“, Regula Venskes Abrechnung mit dem Literaturbetrieb Von Christian Buß

ine Leiche mehr oder weniger fällt hier überhaupt nicht auf. Denn ein Büchergrab ist das, was da jeden Herbst aufs neue in Frankfurt unter großem medialen Getröte ausgehoben wird. Verweste Kritiker, die im ewigen Schlaf der Selbstgerechten eitle Monologe runterleiern, sind hier genauso reichlich zu finden wie die Alkoholleichen zweitklassiger Autoren, die Minderwertigkeitskomplexe mit Hochprozentigem wegspülen. So gesehen ist die Frankfurter Buchmesse natürlich ein guter Ort, um ein paar Tote verschwinden zu lassen.

Joyce Mangold jedenfalls, die Heldin aus Regula Venskes Double für eine Leiche, hat relativ wenig Probleme, den ermordeten Jerry Eisenstein für ein paar Tage beiseite zu schaffen. Das muß sein, denn die bisher recht erfolglose amerikanische Literaturagentin steht in Frankfurt kurz davor, für den hopsgegangenen Schriftsteller einen großen Vertrag abzuschließen. Und davon will sie sich partout nicht abbringen lassen, nicht mal durch sein Ableben. Senitimentalitäten – etwa die Erinnerung an die erste Abtreibung, die sie mit Eisenstein auf der High School hatte – wischt Mangold ebenso resolut beiseite wie sie Äppelwoi und anderen Akohol in sich hineinschüttet.

Double für eine Leiche ist kein Detektivroman, aber er folgt dessen Logik. Das heißt: Die Heldin kriegt unablässig vor den Latz, aber keinen Schlaf. Wenn man vom Beischlaf einmal absieht, der gehört natürlich dazu. Genauso wie der „beste Orgasmus ihres Lebens“, den die Heldin mit einem Hotelportier hat, der aussieht wie ein Frankfurter Würstchen. Regula Venske erzählt von diesem Strudel der Ereignisse, der wie in Detektivromanen in nur wenigen Tagen seinem Höhepunkt entgegenrauscht, in einem eigentümlichen Idiom. Wie sich Männer vorstellen, daß Frauen auf der Toilette miteinander reden – so offenherzig legt auch die Ich-Erzählerin los. Doch von Stuhlgangproblemen und Verhütungsphilosophien ist es nur ein kurzer Weg zu Medienmanipulationen und Waffengeschäften. Die Sprache wird hier hartgekocht bis zum Klischee, schließlich ist das Fach der Regula Venske die Parodie. Ob freiwillig oder unfreiwillig – das will sich einem nicht immer erschließen.

„Hätte Jerry Eisenstein gewußt, daß er nur noch eine halbe Stunde zu leben haben würde, hätte er wohl nicht so laut gelacht.“ Das ist der erste Satz, und er klingt so unoriginell-originell, als sei er in einem Kurs für kreatives Schreiben erfunden worden. Darüber – apropos – macht sich die Heldin einmal lustig: „Als gäbe es auch ein Schreiben, das nicht kreativ sei.“ Regula Venske hat eine interessante narrative Konstruktion gewählt. Die deutsche Krimi-Autorin, die von amerikanischer Literatur beeinflußt ist, läßt eine amerikanische Erzählerin über die deutsche Kultur sprechen. Wenn sich Joyce Mangolds Befremden mit Regula Venskes eigenem Ekel mischt, führt das zu der einen oder anderen saftigen Sentenz; Äppelwoi, so reife eine Einsicht, schmecke, als beiße man in kalte Arschbacken. Manchmal jedoch wird man das Gefühl nicht los, die Autorin habe diese Perspektive gewählt, um umso unbefangener groben Unfug verzapfen zu dürfen. Etwa wenn sie einem Kollegen Sex und Intellekt zusprechen will und ihn beschreibt als den „Inbegriff eines deutschen Intellektuellen – die Sorte, die nicht nur aussieht, als hätte sie Hegel gelesen, sondern der man auch zutraut, ihn verstanden zu haben“. Olala! Rette sich wer kann, wenn die Libido akademisiert.

Regula Venske – die Sorte von Autorin, die auf dem Buchklappenfoto nicht nur so aussieht, als lasse sie sich bei der Brillenauswahl von Ilona Christen beraten, sondern der man auch zutraut, daß sie es wirklich tut – hat mit Double für eine Leiche nur einen mäßigen Krimi geschrieben, aber nebenbei eine kurzweilige Nabelschau aus dem deutschen Literaturbetrieb vorgelegt. Ein Mordsspektakel der Eitelkeiten.

Regula Venske: „Double für eine Leiche“, Heyne, München, 224 S.

Lesung mit Äppelwoi: heute, 20 Uhr, Literaturhaus, Schwanenwik 38

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