piwik no script img

Champion bleibt Jeans-Typ

■ Sven Ottke wird durch einen umstrittenen Sieg gegen Charles Brewer (USA) Weltmeister und ist plötzlich der neue deutsche Box-Messias

Düsseldorf (dpa/taz) – Der Kölner Profiboxer Sven Ottke gewann Samstag nacht in Düsseldorf den WM-Gürtel im Super-Mittelgewicht des Weltverbandes IBF und verblüffte damit die internationale Boxszene. Mit 2:1 Punktrichterstimmen setzte sich der 31 Jahre alte Herausforderer gegen den Titelverteidiger Charles Brewer aus den USA durch.

„Ich muß das jetzt erst verarbeiten, bin praktisch klinisch tot. Das war ein brutal harter Kampf“, hechelte der völlig erschöpfte und schwer gezeichnete Ottke nach seinem überraschenden Triumph vor lediglich 3.000 Zuschauern in der Philipshalle. Brewer dagegen sprach von einem skandalösen Urteil. „Das war eine der unfairsten Entscheidungen meiner Karriere. Ich fühle mich immer noch als Weltmeister.“ Während der US- amerikanische Punktrichter George Hill seinen Landsmann deutlich mit 117:111 vorn sah, entschieden sich Luca Montella (San Marino/115:113) und der Hannoveraner Manfred Küchler (116:112) für Ottke.

Das Urteil war in der Tat umstritten. Nicht wenige Beobachter meinten, außerhalb Deutschlands hätte Brewer, der vor allem in den ersten Runden mit seiner linken Führhand dominierte, seinen Titel behalten. „Es gibt nun einmal unterschiedliche Auffassungen“, erklärte Ex-Weltmeister Henry Maske. „Die Amerikaner bewerten, wer härter und öfter schlägt. Die Europäer honorieren, wer taktisch besser boxt.“ Olympiasieger Torsten May reihte sich ins Lager der Kritiker ein. Der Cruisergewichtler sah Ottke lediglich in fünf der zwölf Runden vorn.

Ottke, der erst seinen 13. Profi- Kampf bestritt, überstand die kritischen Phasen nur aufgrund seiner schnellen Beine. Brewer, der „Hackebeil“ genannt wird, ließ ab der achten Runde ein Trommelfeuer von härtesten Schlägen auf Ottke niederprasseln. „Da habe ich gedacht: Meine Güte, jetzt ist es vorbei“, gestand der zweifache Amateureuropameister. Als Brewer, der vor dem Kampf sein Gewicht nur mit Mühe auf das geforderte Limit drücken konnte, sich dann verausgabt hatte, riß Ottke mit einem fulminanten Finish den Sieg aus dem Feuer.

Mit Ottke verfügt der Kölner Promoter Wilfried Sauerland nach dem abgetretenen Henry Maske und Graciano Rocchigiani wieder über einen Weltmeister, der für Haussender RTL auch zum Quotengaranten werden soll. 5,11 Millionen Zuschauer sahen den Kampf am Bildschirm. „Ich habe aber keine Lust auf den ganzen Kram, den man mit Maske gemacht hat. Ich werde mich nicht so verbiegen. Ich bin ein Jeans-Typ und bleibe ein Jeans-Typ“, sagte Ottke, der es lange Zeit abgelehnt hatte, ins Profilager zu wechseln.

Sein Ziel waren eigentlich die Olympischen Spiele 2000 in Sydney, doch die Erfahrungen, die er 1996 in Atlanta gemacht hatte, als ihm eine ungünstige Auslosung schon früh seinen kubanischen Angstgegner Ariel Hernandez bescherte, gegen den er wie immer verlor, trugen zum Sinneswandel bei. Schon als Amateur hatte Ottke, wie gegen Brewer, geringe Schlagkraft durch blitzschnelle Aktionen, Kondition und Intelligenz wettgemacht. Auf diese Weise gewann er mehrfach gegen Dariusz Michalczewski, Torsten May und auch einmal gegen Ex- Schwergewichtsweltmeister Michael Moorer. Lediglich gegen Hernandez und Maske (zweimal) zog er stets den Kürzeren.

Nach den 12 härtesten Runden seiner Laufbahn saß Ottke völlig fertig in der Kabinenecke, wollte aber auch nach dieser Erfahrung von etwaigen gesundheitlichen Folgen seines Treibens nichts wissen. „Wenn ein Boxer mit 50 doof ist“, so Ottke, „war er es sicher auch schon mit 20.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen