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Die auf die Bühne spucken

■ Vom Vorteil der Theaterbretter gegenüber der Kinoleinwand: Götz Loepelmann inszeniert am Schauspielhaus einfallsreich Erich Kästners „Emil und die Detektive“

Als die Jungs noch kurze Hosen trugen und die Männer Gehröcke, da war es wohl ein Staatsverbrechen, ein Denkmal bunt anzumalen. Kaum vorstellbar, daß sich heute jemand über Emil auch nur aufregen würde. Doch so fremd die Umstände scheinen, die Popularität von Erich Kästners kleinen Helden ist immer noch ungebrochen. Zumindest alle Erwachsenen kennen und lieben sie nach wie vor: Seit Sonntag sind Emil und die Detektive wieder am Werk und jagen im Schauspielhaus den Mann mit dem steifen Hut. Der hat bekanntlich den Jungen aus der Provinz im Zugabteil beklaut und wird daraufhin von einer großstädtischen Kindergang professionell observiert und überführt.

Regisseur und Bühnenbildner Götz Loepelmann wird sich bewußt gewesen sein, daß sich die Geschichte nicht in Form oberflächlicher Anbiederung aktualisieren läßt, und deswegen läßt er sie dort, wo sie entstand: Im Berlin der Vorkriegszeit. Es war, will man der Inszenierung glauben, ein betuliches Pflaster. Eine Großtadt, in der Wachtmeister Fußbälle verhaften und in der jeder auf dem ihm vorbestimmten Platz zu finden ist, selbst die gramgebeugte Bettlerin und das Zigeunermädchen.

Bei einem Stück für Kinder ab sechs Jahren ist diese Entschärfung wohl notwendig. Gut, daß wenigstens eine Gefahr gezeigt wird: In Loepelmanns Berlin müßte sich Emil hoffnungslos verlaufen, wenn er seine Freunde nicht hätte. Die überwiegend schwarzweißen, skizzierten Kulissen zeigen ein Labyrinth in ständiger Bewegung. Schwindelerregend drehen, wenden und senken sich hier die Mietskasernen – zweifellos das aufregendste Element in dieser Inszenierung und sicher geeignet, auch kleinen Kindern die Vorteile einer großen Theaterbühne gegenüber einer Kinoleinwand zu zeigen.

Dazu sind viele Szenen charmant choreographiert und mit hübschen oder gruseligen Geräuschen unterlegt. Zwischendurch werden Lieder gesungen: Die Musik von Franz Wittenbrink zitiert Krimiserien, Chansons und Rockklassiker und läßt Emil auch mal einen Rap vortragen. Das tut Oliver Mallison relativ uncool, aber schließlich hat er auch ein unbeholfenes Muttersöhnchen darzustellen. Die Hauptrolle aber hat er abgegeben: An Max Hopp, der als der dicke Gustav mit der Hupe die Gang anführt, und vor allem an Julia Schmidt. Sie bezaubert als das freche Pony Hütchen nicht nur die abgebrühten Berliner Jungs, sondern gibt sogar dem jugendlichen Publikum etwas zu grübeln, weil sie als einzige etwas wirklich ganz Schlimmes tut: Sie spuckt auf die Bühne. Im Ernst. Darf man das denn?

Barbora Paluskova

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