: Mythos Jugendgewalt
■ Nach Hamburger Vorbild nun auch Studien in Taiwan und der Türkei
Die weltweit größte Studie über Jugendgewalt nimmt ihren Ausgang in Hamburg. Christian Pfeiffer, Leiter des Kriminologischen Forschungsinstitutes Niedersachsen, berichtete gestern in der Hansestadt, daß er Kontakt mit Kriminologen in Krakau, Ljubljana, Taipeh, Izmir und anderen Städten aufgenommen habe, um dort Kriminalität und Gewalt durch Jugendliche untersuchen zu lassen. Diese Studien gehen zurück auf Pfeiffers Forschungen in Hamburg.
Im vorigen Jahr hatte der damalige Bürgermeister Henning Voscherau (SPD) ihn damit beauftragt, die Kriminalität unter Kindern und Jugendlichen sowie deren strafrechtliche Ahndung statistisch zu erfassen und auszuwerten. Das Ergebnis hatte für Aufsehen gesorgt, weil es kurz vor der Bürgerschaftswahl den Schluß nahelegte, die Hamburger Staatsanwaltschaft verfolge Jugendkriminalität nicht ausreichend.
Kurz darauf hatte Pfeiffer in vier weiteren bundesdeutschen Städten Jugendkriminalität aus Sicht der Opfer beleuchtet. Dabei hatte er herausgefunden, daß jeder vierte Jugendliche und Heranwachsende bereits einmal Opfer einer Gewalttat war.
Den Mythos, daß Jugendliche immer brutaler werden, zerstörte Pfeiffer jedoch gestern auf einem „Jugendhilfeforum“ der Patriotischen Gesellschaft. Die durchschnittliche Tatschwere sei sogar stark zurückgegangen. Ging es noch 1993 bei jedem 3. Raub um eine Beute im Wert von über 500 Mark, war das 1996 nur noch bei jedem 5. Delikt der Fall. Und landeten 1993 noch 15 Prozent der Gewaltopfer mit Verletzungen im Krankenhaus, waren es 1996 nur noch acht Prozent.
„Jugendgewalt ist dominiert von der Frage, ob man auf der Gewinner- oder der Verliererseite steht“, resümmierte Pfeiffer. Das erkläre, daß im Verhältnis die Anzahl der nichtdeutschen Tatverdächtigen deutlich zugenommen habe. Die Binsenweisheit „Jeder ist seines Glückes Schmied“ gelte für Ausländer in der Bundesrepublik weit weniger als für Deutsche. Zudem neigten vor allem Jugendliche zu Gewalt, die sie zu Hause selbst erlebt haben – was etwa drei Mal mehr türkische als deutsche Jugendliche berichtet hätten. Elke Spanner
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