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Ein Segeltörn im Keller

■ Das Uraufführungstheater zeigt „Unter Palmen“, ein absurdes Theater im Eigenheim

Horst, in Tigerbadehose, liegt gefesselt vor dem Südseeprospekt. „Ich hätte jetzt beinahe ,guten Abend‘ gesagt“, begrüßt Harald Siebler vom Uraufführungstheater in Berlin die Zuschauer in der Vagantenbühne. Es ist Sonntag morgen, viertel nach elf. Die zweite szenische Lesung des neugegründeten Theaters steht auf dem Programm, „Unter Palmen“ von Jean- Michel Räber. Der Saal des Theaters in der Kantstraße ist fast voll.

Ein Stück über einen Urlaub der ganz anderen Art. Horst und Gisela haben sich im Keller ihres Eigenheims verschanzt, mit Hometrainer, Modellboot und einer Tiefkühltruhe voller Lebensmittel. Den Leuten – Schwiegermutter inklusive – haben sie erzählt, daß sie für drei Wochen in die Südsee gefahren sind. Und in gewisser Weise sind sie das tatsächlich, denn zum Urlaub sind sie wild entschlossen. Nur daß die blauen Wasser der Südsee bloß in ihren Köpfen plätschern. Der Ferienstimmung stünde jetzt nichts mehr im Wege, die Tigerbadehose ist längst ausgepackt, und genug Phantasie haben die beiden Urlauber auch. Wären da nicht ein paar Widrigkeiten, die Horst und Gisela immer mühsamer meistern. Erst der Rohrbruch, dann fehlt eine Ersatzbirne für die Höhensonne. Denn nach drei Wochen Südsee braucht der Mensch eine entsprechende Färbung – wer glaubte ihm sonst die Seychellen. Und dann kommt Walter.

Walter ist ein Einbrecher, der Häuser ausräumt, während ihre Bewohner im Urlaub sind. Erst mal landet er gefesselt und geknebelt am Heizungsrohr. Doch was nun? Die Polizei kann man nicht rufen. Derartige Urlaubsunterbrechungen sind nicht eingeplant und würden das ganze Manöver ruinieren. In die Reisegruppe integrieren läßt sich der Mann auch nicht so leicht, obwohl Gisela nicht abgeneigt wäre. Geknebelter Walter, O-Ton: „Ich hab einen entsetzlich trockenen Mund.“ Gisela: „Du hast die Sahara in dir!“ Schließlich erschlägt ihn Horst mit der Hantel. Die Leiche landet in der Tiefkühltruhe, das Urlaubsglück hat erste Risse. Die Fassade ihrer bürgerlichen Existenz erst recht. Doch Walter überlebt Hantel und Tiefkühltruhe, und weiter geht das absurde Theater im Eigenheim. Zum Schluß ist Walter wirklich tot. Gisela mit dem Bastel-Dreimaster hatte mehr Schlagkraft als Horst mit der Hantel. Vorher mußte Walter noch Modell stehen: als Eingeborener für die Urlaubsbilder für Schwiegermama.

Die Geschichte ist sehr schräg und manchmal auch sehr komisch. Sie krankt allerdings daran, daß Räber seine Eigenheimbewohner ähnlich fremd und exotisch sind wie dem Eigenheimbewohner die Menschen in der Südsee. Es ist die niemals ausgestorbene Kolonialherrenattitüde, mit der sich auch heute noch der Pauschaltourist den sogenannten Eingeborenen seines Urlaubsdomizils nähert. Figuren, die im Lichtkegel eines solchen Dünkels entstehen, können nie so recht zum Leben erwachen. Dazu müßte man sie ernst nehmen. In seinen Charakteren schwingt immer das „Ich bin nicht so“ des Stückeschreibers mit. So muß Räber sich die Figuren viel zu sehr vom Leibe halten und kommt nicht dazu, ihre Tiefen zu ergründen. Esther Slevogt

8.11., Vagantenbühne: Alissa Walser, „Das Entzücken“

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