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Berlin hat 61 Milliarden Mark anschreiben lassen

■ Die Hauptstadt bleibt Schlußlicht der wirtschaftlichen Entwicklung. Trotz Ausverkauf fast des gesamten Landesvermögens können neue Haushaltslöcher kaum noch gestopft werden

Berlin (taz) – New York ist immer wieder eine Reise wert – muß sich auch die eiserne Lady der Hauptstadt gedacht haben. Doch wo sich andere im Rockefeller Center vergnügen, den Broadway entlangschlendern oder der Freiheitsstatue einen Besuch abstatten, hat Annette Fugmann-Heesing, die Berliner Finanzsenatorin (SPD), nur die Sanierung ihrer maroden Landesfinanzen im Sinn. Gestern begann sie einen einwöchigen Besuch in den USA. Und ausgerechnet im sozial polarisierten New York will sie sich Anregungen zur Überwindung einer Haushaltskrise holen.

Beim Import amerikanischer Politikrezepte sind die Berliner PolitikerInnen VorreiterInnen. Im vergangenen Jahr war es ein anderer Berliner Senator, Innensenator Jörg Schönbohm (CDU), der zur politischen Konsultation nach New York reiste. Zurück brachte er die Polizeistrategie der „Zero Tolerance“, einer unnachgiebigen Härte auch gegenüber Alltagsdelikten, fortan bundesweit zur Heilslehre der Inneren Sicherheit schlechthin erkoren.

Auch Fugmann-Heesing gilt als Hardlinerin auf ihrem Gebiet. Seit sie vor zweieinhalb Jahren ihr Amt in der Großen Koalition der Hauptstadt angetreten hat, hat die Finanzsenatorin die Haushaltspolitik auf zwei Kernelemente reduziert: eigenverantwortliches Kürzen der Ressorts und Privatisierung landeseigener Betriebe.

Kein Zufall, daß Fugmann- Heesing nach New York fährt, um sich Anregungen für ihren Etat zu holen. Mit Kürzungen im Sozialbereich sowie der Konzentration öffentlicher Mittel auf einige wenige Dienstleistungsstandorte hatte New York auf die Finanzkrise Ende der achtziger Jahre geantwortet. Soziale Proteste blieben nicht aus. „Haushalskonsolidierung und Akzeptanz“ lautet denn auch der Titel der Unterredung Fugmann-Heesings mit der ehemaligen Stadtkämmerin Carol O'Cleireacain.

Mit 61,104 Milliarden Mark steht das Land Berlin 1998 in der Kreide. Bis zum Jahr 2000 soll der Schuldenstand auf 68,409 Milliarden Mark anwachsen. Jährlich fehlen etwa sechs Milliarden im Etat, um den Ausgaben des Landes entsprechende Einnahmen gegenüberstellen zu können.

Die wirtschaftlichen Realitäten der vereinigten Bundesrepublik haben die frühere Insel Berlin längst eingeholt, doch die veraltete ökonomische Struktur zeitigt Langzeitfolgen. Zudem ziehen immer mehr BerlinerInnen wie auch Berliner Firmen ins brandenburgische Umland – Steuerlöcher umgeahnten Ausmaßes sind die Folgen. Und da Berlin nach wie vor das Schlußlicht wirtschaftlicher Entwicklung bildet, ist keine Hoffnung auf Besserung der finanziellen Situation in Sicht.

Mit einem fast hastig anmutenden Ausverkauf tendenziell des gesamten Landesvermögens antwortet das Land unter finanzieller Führung von Fugmann-Heesing auf den Haushaltskollaps. 1997 versilberte die Finanzsenatorin beinahe soviel wie die Bundesregierung. Acht Milliarden Mark holte der aus dem Amt geschiedene Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU) durch Privatisierung in die Bundeskassen, Landesvermögen im Wert von immerhin rund fünf Milliarden privatisierte seine Berliner Kollegin: Für 2,85 Milliarden Mark übernahmen private Konzerne den Berliner Energieversorger Bewag, die Landesanteile am Gasunternehmen Gasag schlug der Berliner Senat für 1,4 Milliarden Mark los. Es folgen nun die Berliner Wasserbetriebe, und auch die Wohnungsbaugesellschaften stehen auf der Angebotsliste.

Zum Rundumschlag holt die Finanzsenatorin derzeit aus. Gebäude und Grundstücke im Wert von 24 Milliarden Mark, die sich derzeit im Besitz einzelner Berliner Bezirke oder der Landesverwaltung befinden, sollen in einem Grundstücksfonds zusammengefaßt und meistbietend verkauft werden – einzig und allein mit dem Ziel, die Schuldenlast des Landes zu reduzieren. Barbara Junge

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