piwik no script img

Bildung nur noch gegen Knete?

betr.: „Der Zeitgeist verlangt nach Auslese“, taz vom 22. 10. 98

Das altlinke Gejammere gegen jede Form von Studienplatzbeschränkungen geht mir inzwischen reichlich auf den Geist. Die meisten Studierenden betrachten ein Hochschulstudium als berufsqualifizierende Ausbildung. Und spätestens auf dem Arbeitsmarkt herrscht Auslese total.

[...] Was mir in Deutschland gefehlt hat, ist die gegenseitige Auslese von Studierenden und Hochschulen. Alle amerikanischen Universitäten bemühen sich, die besten Studierenden zu bekommen. Und um das zu erreichen, müssen sie in der Lehre gut sein. Für deutsche Hochschulen besteht in dieser Hinsicht leider überhaupt kein Anreiz. Und so kann es sein, daß man zahlreiche Semester Wartezeit für ein didaktisch dilettantisch aufgebautes Studium sammelt. Olaf Cirpka, Stanford, Kalifornien/USA

Ich bin ebenfalls Student wie Eure Interviewpartner und kann mich deren Einstellung nicht ganz anschließen.

[...] Ich bin selbst vor einem Jahr durch Bonn gelaufen und habe demonstriert, sehe es aber inzwischen etwas anders. In meinen Augen sind Studiengebühren notwendig, um als Student in der Lage zu sein, Druck auf die Profs ausüben zu können. Nach dem Motto: „Für den Scheiß, den du da Vorlesung nennst, siehst du mein Geld nicht.“ Dann gehören Profs, die ihren Urlaub im Semester machen oder während der Vorlesung telefonieren, ganz schnell der Vergangenheit an. Und auch Studenten, die im zwanzigsten Semester noch kein Vordiplom haben und damit den Leuten, die studieren wollen und wegen schlechter Abi-Noten nicht dürfen, ihr Studium verbauen.

Trotzdem ist Bildung in meinen Augen immer noch ein Grundrecht, das jedem zusteht und für jeden finanzierbar sein sollte. Klingt paradox, ist aber ganz einfach. Jeder Student sollte über genügend Geld verfügen, damit er neben Studiengebühren und sonstigen Aufwendungen davon leben kann, und die Leute, die es sich leisten können, sollten für dieses Grundrecht aller zur Kasse gebeten werden. Tobias Saulich, Detmold

Die Situation an unseren Schulen läßt sich vergleichen mit der eines Hotels, in der die Leitung unermüdlich zu Fort- und Weiterbildungen einlädt und Richtlinien, Anweisungen, Speisepläne ihren – zu eigenem Tun offenbar nicht fähigen – Angestellten zukommen läßt, um auf jede erdenkliche Weise eine Besserung des eher mittelmäßigen Services zu erreichen. Auf diesem Wege, glaubt man, wäre man zumindest strukturell besser und handelte in jedem Fall humaner als die menschenverachtende Konkurrenz, die sich darauf beschränkt, von Zeit zu Zeit sich von einem Teil des Personals zu trennen, es im übrigen aber dem einzelnen in Küche, Restaurant und Keller selbst überläßt, herauszufinden, was das jeweils beste ist.

Wäre es wirklich so: warum gibt es dann so viele in der freien Wirtschaft Tätige, die dennoch zufrieden sind (obwohl ihnen der Betrieb nicht gehört und jede Form von Alternative zum Kapitalismus in weite Ferne gerückt ist) –, und warum gibt es so viel Gejammer im öffentlichen Dienst?

Dem im Kindergarten der Staatsfürsorge Aufgewachsenen erscheinen normale Arbeitsverhältnisse erst einmal unvereinbar mit Begriffen wie Selbstverwirklichung und Autonomie. [...] Seine Berufserfüllung darin zu sehen, „to keep the customer satisfied“, scheint meilenweit von der Wirklichkeit jedes Staatsdienstes entfernt. Und gerade der „linke“ Beamte, der sich kuschelig in seiner Entfremdung eingerichtet hat, kann furchtbar radikal werden, wenn es um den oft beschworenen „Raubtierkapitalismus“ geht. Zumindest kommt bei letzterem in der bösen Welt draußen wenigstens ab und zu ein wenig Spaß an der Arbeit auf, weil Kreativität und Persönlichkeit – gerade, weil es sich um Marktwerte handelt – durchaus honoriert werden (egal, wo der Mehrwert bleibt: der Mensch lebt nicht vom Brot allein, und Leistung zeigen zu können, ist ja auch nicht ganz schlecht). Dagegen möchte man einem Lehrer, aufgefordert, in der Sendung „Was bin ich“ eine typische Handbewegung vorzuführen, am liebsten vorschlagen, es mal mit Händeringen zu versuchen.

Ob es freilich gelingen wird, die Verhältnisse an den Schulen und Ämtern, wie es zur Zeit von oben versucht wird, zu ändern, bleibt nicht nur fraglich: es kann geradezu gefährlich werden. Denn sollte in unserem fiktiven Hotel die nun ziemlich verzweifelte Leitung von den jahrzehntelang Entmündigten tatsächlich eines Tages Eigeninitiative und Risikobereitschaft verlangen, könnte es ihr ergehen wie dem Kaiser von China, als er seine in zweckfreier Eigendynamik um sich selbst kreisende Dienerschaft loswerden wollte: die letzte Tat der entlassenen Eunuchen war es, den Palast zu plündern und anzuzünden. Bernhard Becker-Braun

betr.: „Empowerment“ von Reinhard Kahl, taz vom 22. 10. 98

Bildung soll es also nur noch gegen Knete geben. Pech für den, der nicht in eine wohlhabende Familie hineingeboren wurde. Herr Kahl spricht ja vielleicht noch von Bildung, er meint aber nur noch Ausbildung für eine Technologie, für eine Technologie, über die allein die Industrie bestimmt.

Hat Herr Kahl die Firma Bertelsmann gefragt, warum sie nicht die staatlichen Schulen fördert, sondern versucht, das System der Bildung für alle zu sprengen? Gentechnik oder andere Technologien in Frage stellen? Unmöglich! Die neuen Schüler werden für jede Technologie ausgebildet, solange es die Nachfrager auf dem Arbeitsmarkt, die Unternehmen, es wünschen. Und die Funktion des Staates im Bildungsbereich beschränkt sich darauf, die Bedingungen für Unternehmen so zu gestalten, daß diese die Ausbildungsanstrenungen ihrer (zeitweisen) Mitarbeiter maximal ausbeuten können, zu einem minimalen Preis. Und nach Gebrauch wie eine ausgequetschte Zitrone wegschmeißen können. Gesellschaftliche Verantwortung für die Benachteiligten? Nicht gefragt!

[...] Schade, daß Herr Kahl sich nicht fragt, ob jede neue Technologie Fortschritt bedeutet in Richtung auf eine Gesellschaft mit einem dauerhaft umweltgerechten Lebensstil.

Herr Kahl behauptet zwar, daß mehr und mehr Unternehmen nach Mitarbeitern verlangen, die sich nichts sagen lassen! Aber solche Mitarbeiter müssen von sich aus wollen, was die Firmenleitung will: immer mehr Gewinn mit immer weniger Mitarbeitern und ein immerwährendes Wachstum. Und genau das ist nicht zukunftsfähig, darf aber nicht diskutiert werden, denn es gefährdet die Unternehmensgewinne und den Einfluß der Unternehmen. Jens Niemann, Hamburg

Die Redaktion behält sich den Abdruck sowie das Kürzen von Briefen vor. Die auf dieser Seite erscheinenden LeserInnenbriefe geben nicht notwendigerweise die Meinung der taz wieder.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen