Kommentar
: Der Wechsel auf die Macht

■ Heute wird Gerhard Schröder zum Bundeskanzler gewählt

Der Machtwechsel ist ein Wechsel auf die Macht. Ob der Wechsel gedeckt ist, bleibt offen. Die Bonität der Firma Schröder & Fischer besteht vorläufig in ihrer Glaubwürdigkeit, weder richtig rot noch richtig grün zu sein. Die Geschäftsbeziehungen zwischen der Ex-Bourgeoisie, der Ex-Sozialdemokratie und den Ex-Grünen sind ausgezeichnet, genau auf der soliden Grundlage, daß keiner mehr ist, wer er einmal war. Die Heiterkeit der deutschen Bourgeoisie ist dahin; sie glaubte schon seit einiger Zeit nicht mehr an ihren Kindertraum von der ewigen Konjunktur.

An die Aufgabe, einer Konjunktur auf die Beine zu helfen, die keine Beine mehr hat, machte sich deshalb der lebenskluge Kohl erst gar nicht mehr. Soll sich jetzt die kapitalistisch-loyale Rot-Grün-Kombination damit abstrampeln, unbegründeten Optimismus zu verbreiten. Scheitert Rot- Grün, wird das Kapital verlautbaren: Das haben wir ja vorausgesagt. Gelingen Rot- Grün doch Erfolge – dann bleibt die Weisheit: Die Rot-Grünen haben nur Erfolg, weil sie nicht mehr rot und grün sind, sondern moderat globalkapitalistisch.

In unsicheren Zeiten sagen Bilder mehr als Worte. Ein Foto, das habe ich mir ausgeschnitten: stehend ein Schröder, der ehrlich-sorgenvoll dreinschaut; und, vor ihm sitzend, ein gratulierend die Hand schüttelnder Kohl, plötzlich ein alter Mann, aber ein fast siegreiches Lächeln hat er drauf, gemischt christlich-freundlich und kapitalistisch-boshaft. Auf wienerisch würde ich sagen: Kohl dachte sich „Jetzt habt's den Scherben auf“. Oder gleich, wie's der König von Sachsen sagte, zurücktretend vor den siegreichen Roten: „Nu macht euch euren Dreck alleene.“

Der ehrliche linke Michel (ach ja, den gibt's schon noch) trinkt stillsitzend sein Bierchen und verstrickt seine Gedanken im abscheulich-sozialdemokratischen Einerseits-Andrerseits. Einerseits möchte er gern losmotzen noch und noch, andrerseits ist er sich seiner linken Verantwortung bewußt: Er muß sich auch noch freuen.

Es kann doch sein, daß Schröder im Verein mit seinen anderen, auch nicht mehr sozialdemokratischen Freunden, 11 von 15 Regierungshäuptern, in der EU doch eine stumpfe Spitze gegen das Brutalkapital zustande bringt, aus Materialien, gemischt neokeynesianisch und altsozialistisch. Und der Linke sitzt in der Beiz' mit einem Pokerface aus der Operette „Immer nur Lächeln“. Günther Nenning

Der Autor ist Publizist in Wien