piwik no script img

Straßenbahn ins Glück

Regen, Risse und das Wissen um Liebe: Frank van Passels stiller Film Tramway Silence läuft im 3001-Kino  ■ Von Oliver Rohlf

anz am Anfang steht ein Flirt. Ein Reisender mit Rucksack und Strickmütze verguckt sich in einer Brüsseler Trambahn über den Chauffeurspiegel in die Augen der Straßenbahnfahrerin Jeanne. Beide würden ein prima Paar abgeben, in diesem Roadmovie auf Schienen. In etwa gleich jung, gleich hübsch, aber, wie so oft, wird daraus erstmal nichts.

Trotz warmer, scheuer Blicke gibt es nur einen belanglosen Wortwechsel über Wo-finde-ich-welche-Straße. Harry (Frank Vercruyssen) geht, Jeanne (Antje de Boeck) fährt. Die Liebesgeschichte zwischen Harry und Jeanne beginnt dort, wo sie eigentlich und ohne ein Wort der Erklärung schon zu Ende sein könnte – Beim Auseinandergehen.

Der belgische Regisseur Frank van Passel baut bei seinem mehrfach ausgezeichneten Spielfilmdebüt Tramway Silence aus dem Jahr 1995 auf die Momente Trennung und Einsamkeit. Harry wirkt wie ein sozialer Lückenfüller. Mittellos und scheinbar ohne Ziel streunt er wie ein Lebens-Bagpacker durch die regnerische Hauptstadt Belgiens. Eine Unterkunft hat der glatzköpfige Thirtysomething nicht. Da wird er Zeuge, wie eine gerade verstorbene Frau aus ihrer Wohnung abtransportiert wird. Selbstmord, so beklagt die skurrile Vermieterin Denise den Tod der Alten lakonisch, und das mit 70 Jahren, kurz bevor die monatliche Miete ansteht.

Harry übernimmt „das Studio“, wie der Verschlag hoch oben im siebten Stock angepriesen wird, noch sesselwarm und ohne einen Hauch von Skrupel. Die Szenerie ist dunkel, naß und einsam, überall Regen und Risse. Und natürlich ist Harry auch ohne Job. Doch als er in einer miesen Kantine ein noch mieseres Mahl zu sich nimmt, schmeißt wieder just in diesem Moment ein Tellerwäscher seine Arbeit hin, und wieder steht Harry da und sagt: „Ich mach's.“

Glück sieht wahrlich anders aus, denn auch privat wirkt Harry durch sein eigenes Schicksal fremdbestimmt. Als kleiner Junge hat er seine ganze Familie verloren, als diese, direkt auf einem Bahnübergang parkend, während einer kurzen Pinkelpause von Harry von einem Zug überrollt wurde. Deswegen hat Regisseur van Passel seinen Film im Original auch Manneken Pis getauft. Ein nationales Wahrzeichen als umgedeutetes Symbol einer ganz privaten Tragödie, in der die Hoffnung taghell scheint, und Depression so schwarz wie die Nacht daherkommt. Seit dieser Katastrophe wandelt Harry als ein emotionales Waisenkind durchs Leben und schweigt die meiste Zeit. Erst als die Tramfahrerin Jeanne in sein Leben tritt, offenbart die psychische Isolation von Harry einen Spalt der Hoffnung.

Doch auch das Liebesleben von Jeanne verläuft längst nicht so geordnet wie die Schienenpaare, auf denen sich ihre Straßenbahn täglich bewegt. Die Dunkelhaarige wird von einem Kollegen begehrt, der ihr Heiratsanträge über den Schienenfunk stammelt, was sie natürlich kalt läßt. Und letztlich ist da noch die Kriegswitwe und Vermieterin Denise, eine verschrobene Alte, die nach 40 Jahren immer noch mit dem Tod ihres Mannes hadert und zuviel trinkt. Alle drei leben in diesem Haus voll Regen und Risse, in dem Architektur und Seelenleben einhergehen.

Jeanne möchte Harry lieben, doch der kann nichts mehr fühlen. Sagt er und gibt ihr einen Korb. Aber Harry sehnt sich nach etwas, wenn auch in ganz kleinen Dimensionen und nicht zielgerichtet. Die einzigen, denen er von seinen nächtlichen Sternen- und Händchenhalten-Szenarien erzählen kann, sind seine Tellerwäscherkollegen Bert und Desire, zwei halbseidende wie verspielte Deppen, deren Leben durch Bräute, beknackte Lebensweisheiten und schnelle Flitzer ausgefüllt ist. Doch die sind eher Ventil denn Rettung. Jeanne hingegen verbündet sich mit ihrer Leidensgenossin Denise, und zusammen versuchen sie, den Spaß am Leben neu zu entdecken und Harry in diesen guten Strudel mitzureißen. Als Harry allerdings seine Lebens- und Liebesfähigkeit wieder fühlen kann, ist es für eine gemeinsame Liebe mit Jeanne zu spät, sie stirbt in seinen Armen. Ihr genügte das romantische Gefühl vom Geliebtwerden.

Frank van Passel hat mit Tramway Silence ein Happy End gezeichnet, das sich nicht über das Pärchen vor dem hoffnungsvoll leuchtenden Horizont definiert, sondern über die Fähigkeit zu lieben, das Wissen um die Liebe. So gesehen, ist hier die Möglichkeit mehr als das Machen und die Trambahn das Reisemobil in das eigene Herz. Und von dort aus kann vieles starten.

Do, 29. Oktober bis Mi, 4. November, 20.30 Uhr, 3001-Kino

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen