piwik no script img

Mit Pumps und Boa im Licht

Das legendäre Tingeltangel-Cabaret „Lützower Lampe“ in der Witzlebenstraße ist wiedereröffnet worden – und zwar als Bar und neuer Spielort für schräge Kunst  ■ Von Axel Schock

An diesem Ort ist die Zeit stehengeblieben. Da mögen die Stereoanlage und die CDs hinterm Tresen so gar nicht recht ins Bild passen. Roter Samt allüberall, Kristallüster und Kerzenschein tauchen das Lokal in rötliches düsteres Licht. Die ausladenden Möbel, die Tischchen, Sessel, Sofas, und die Goldrahmen an der Wand passen alle nicht ganz zusammen und ergeben doch eine Einheit: die Gemütlichkeit von Omas Wohnstube, gepaart mit der Verruchtheit eines Puffs anno 1930. Die „Lützower Lampe“, die jetzt als Bar und neuer Spielort für Kleinkunst wiederöffnet wurde, ist ein Stück Berliner Kulturgeschichte abseits des Gewöhnlichen.

Anfang der dreißiger Jahre wurde das Etablissement als „Lietzower Lampe“ (benannt nach dem Stadtteil Alt-Lietzow) von einer ehemaligen Tänzerin der Staatsoper Berlin in der Behaimstraße als Künstlerlokal eröffnet. Während des Dritten Reichs war die „Lampe“ Treffpunkt verfemter Künstler und Intellektueller und Stammlokal der Künstler des „Eldorados“. Nach Feierabend zogen die Varieté-Künstler des berühmten Nachtclubs in der Motzstraße gen Charlottenburg, um einfach unter sich weiterzufeiern. Der Plüsch und Plunder hat den Krieg überlebt.

1967 übernahm Karmeen die „Lützower Lampe“ und machte sie zu einer Berliner Attraktion. Früher war Karmeen Zirkusartist und Tänzer gewesen. Ein Auftritt in Damenkleidern wurde zu einem überraschenden Erfolg: Der Damenimitator Karmeen war geboren. Das galt auch Anfang der siebziger Jahre noch als ein wenig verrucht und verwegen, mit dem Hautgout der Halbwelt. Karmeen aber schaffte es, mit einer kleinen exotischen Truppe für eine Art Entertainment zu sorgen, das – lange vor „Chez Nous“ und „Mary & Gordy“ – tatsächlich noch ein Moment von Subversion hatte. Unverzichtbar in jeder Show Karmeens Glanznummer – der Spagat auf zwei Stühlen –, die sie selbst noch im hohen Alter artig und pflichtbewußt wie ein Zirkuspferd absolvierte. In der „Lampe“ sammelten sich Lichtgestalten in Pumps, mit Boa und aufgetufften Perücken, gewöhnliche Kiezbewohner, Liebhaber der Fummeltanten, Touristen auf der Suche nach Großstadtflair sowie Prominente, die das „andere“ zu genießen wußten. Doch die Zeiten für ein Tingeltangel-Cabaret wie die „Lützower Lampe“ wurden schwerer, der Champagner – und damit das Geld – floß nicht mehr in den Mengen wie früher.

Als der Mietvertrag für die Räumlichkeiten nicht mehr verlängert wurde, zog die „Lampe“ samt Brokatsamt, Kristallüster und all dem Nippes ein paar Straßen weiter, und es ging dort einfach weiter, als sei nichts geschehen. Die Damen aber waren inzwischen älter geworden, das Publikum wurde rarer. So fläzten sich die Ladys auf einem Sofa gegenüber der Bar und geizten mit ihren Reizen, bis wenigstens eine Handvoll Gäste auf ihren Auftritt wartete. Die „Lützower Lampe“ verfiel in Dämmerschlaf.

Der junge Christian Lombardt will jetzt die alte Tradition neu aufleben lassen. „Wir haben eigentlich nur ein bißchen abgestaubt und einfach wieder aufgemacht.“ Selbst Karmeens handgebastelte Straßtroddeln an den Lämpchen glitzern noch überm Tresen. Lombardt kümmert sich um den Barbetrieb, der Berliner Künstleragent Uwe Berger sorgt für das Kleinkunstprogramm. Die Hausproduktion „Club der Freundinnen“, ein Chansonprogramm durchs Berlin der 20er und 30er Jahre von Anette Möhler und Ursual Ofner, war der Auftakt. Nach einem Gastspiel von Annette Berr wird im November der ausgebildete Opernsänger Arnold Krohne die Premiere seines neuen Programms, „Schlangenküsse ... und andere Aphrodisien“ mit skurrilen Gesängen von Cindy & Bert bis Mozart feiern. „Der Schwerpunkt wird weiterhin bei musikalischen Programmen und Chansons liegen“, erzählt Berger, „aber mittelfristig sollen auch experimentellere und ungewöhnliche Auftritte über die kleine Bühne gehen.“ Und die Gäste? Die knapp 50 Plätze reichen an vielen Abenden längst nicht mehr aus, und ab und an stolpern einige alte Stammgäste aus alter Zeit verwundert ins Lokal, setzen sich an den Tresen und erzählen mit großen Augen Anekdötchen. Und Stück für Stück kehrt von dieser Atmosphäre wieder etwas in den Laden zurück. Denn auch einige der alten Herren Damen finden sich wieder ein. Gina wirbelt nun mittwochs hinter der Bar und macht aus Cocktailmixen, Gläserspülen und wechselnden Gästen ihre ureigene Tresenshow. „Und wenn's sein muß“, sagt Lombardt, kram' ich eben meinen eigenen Fummel wieder aus dem Schrank und setz' die Perücke auf.“ Axel Schock

Witzlebenstraße 38 (U-Bhf. Sophie-Charlotte-Platz), Kartentelefon: 45199491; „Club der Freundinnen“ wieder am 30./31.10. und 5.–8.11., 20.30 Uhr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen