: Der Kulturtanker bewegt sich doch
Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz agiert in Berlin derzeit ohne Präsidenten. Klaus-Dieter Lehmann, Chef der Deutschen Bibliothek in Frankfurt und Leipzig, gilt nun als bester Kandidat, die west-östliche Aufgabe zu lösen ■ Von Ralph Bollmann
An diesen Ort verschlägt es niemanden durch Zufall. „Stiftung Preußischer Kulturbesitz“ steht auf dem Türschild, sonst nichts. Nicht „Der Präsident“, nicht „Verwaltung“, keine Namen, keine Abteilungen. Besuch ist selten, und wenn einer kommt, darf er in einer preußisch-bescheidenen Sitzecke Platz nehmen, auf Möbeln, die klassizistische Formen zeitgemäß adaptieren.
Seltsam zeitlos erscheint diese Villa, die sich der preußische Finanzminister August von der Heydt 1861 am Berliner Landwehrkanal bauen ließ. Heute ist die Gegend im alten und künftigen Botschaftsviertel eine der vielen städtischen Brachen Berlins. In diesem Niemandsland residiert die „Stiftung Preußischer Kulturbesitz“, die der Bund und die preußischen Nachfolgeländer 1957 gegründet hatten, um die Trümmer der preußischen Museen, Bibliotheken und Archive einzusammeln.
Doch der Raum, in dem alle Fäden zusammenlaufen, steht leer. Das große Erkerzimmer des Stiftungspräsidenten ist verwaist, in den Bücherregalen keine Bücher, auf dem Schreibtisch weder Schreibgerät noch Papierstapel. Werner Knopp hat ihn im Januar geräumt, jetzt empfängt Vizepräsident Norbert Zimmermann die Besucher. Die Geschäfte der Stiftung führt er nach wie vor von seinem eigenen Schreibtisch aus.
Er tut es sachlich, kompetent, offen – kurzum, mit jener „Unaufgeregtheit“, die schon als das hervorstechendste Merkmal seines Vorgängers galt. Eigene Ambitionen auf das Präsidentenamt dementiert er entschieden. Vielmehr wirkt er aufrichtig erleichtert, daß er demnächst wieder einen Chef bekommen wird. Einen „unaufgeregten“ noch dazu: Klaus-Dieter Lehmann wird neuer Präsident, sagt Zimmermann, „wenn der Bund ihn möchte und er selbst es will“. Für den Bund ließ Kultur- Staatsminister Michael Naumann bereits verlauten, die Chancen von Kohl-Intimus Christoph Stölzl als einzigem Gegenkandidaten seien durch den Regierungswechsel „nicht gestiegen“.
Lehmann seinerseits, als Direktor der Deutschen Bibliothek in Frankfurt und Leipzig für die west- östliche Aufgabe gut gerüstet, steht „als Kandidat wieder zur Verfügung“, wenn sich eine Mehrheit abzeichnet. Doch die Kassandrarufe vor allem der Stölzl-Freunde, die sozialdemokratische Verzögerungstaktik im komplizierten Bund-Länder-Mechanismus des Stiftungsrats füge dem Preußischen Kulturbesitz schweren Schaden zu, haben sich ohnehin nicht bewahrheitet. Das lange Interregnum, das voraussichtlich am 17. Dezember zu Ende geht, habe der Stiftung „nicht unmittelbar geschadet“, sagt Zimmermann.
Lehmann propagiert die „Galaxis der Kultur“
In der Tat: Die großen Entscheidungen sind längst gefallen. Einen „deutschen Louvre“ auf der Museumsinsel wird es nicht geben. Vor allem der machtbewußte Generaldirektor der Museen, Wolf-Dieter Dube, hat die Fortführung der Westberliner Planungen auf dem Kulturforum mit der Eröffnung der Neuen Gemäldegalerie durchgesetzt. Klar ist inzwischen auch, daß die Staatsbibliothek auf keines ihrer beiden Häuser verzichten muß. All diese Pläne hat Zimmermann in der Zwischenzeit weiter vorangetrieben – im Fall der Stabi bereits mit tatkräftiger Hilfe seines künftigen Chefs Lehmann, der längst schon der Bibliothekskommission der Stiftung vorsitzt.
Daß die Stiftung selbst während der ganzen, ein Jahr währenden Wahlprozedur stets Lehmann wünschte und Stölzl fürchtete, wurde spätestens offenbar, als Lehmann im Januar die Abschiedsrede auf den scheidenden Präsidenten Knopp halten durfte – sehr zum Verdruß des Kandidaten Stölzl. Zur Freude aller Anwesenden versprach der Bibliothekar aus Frankfurt, „das Beste, was von Preußen blieb“ (Knopp) zu einer „Galaxis der Kultur“ auszubauen.
Auch auf der Museumsinsel beginnen die lange umstrittenen Pläne just in der Zeit des Interregnums Wirklichkeit zu werden. Bis zum Jahr 2000 soll die Alte Nationalgalerie für die Kunst des 19. Jahrhunderts fertig sein, danach wird Schinkels Altes Museum für die Antikensammlung hergerichtet und das Bode-Museum saniert, um im neuen Jahrtausend die Skulpturen aufzunehmen.
Der härteste Brocken ist das Neue Museum, das derzeit noch als provisorisch gesicherte Kriegsruine vor sich hindämmert. An dieser Stelle hätte Museumsdirektor Dube gerne seinen „Grand Louvre“ nach den Plänen des Stararchitekten Frank Gehry errichtet. Doch er scheiterte am Denkmalschutz, der die Museumsinsel inzwischen für die Unesco-Liste des Weltkulturerbes angemeldet hat. Die Stiftung hätte den Antrag gerne zurückgezogen, kam aber zu spät. Einschneidende Umbauten sind ohne großen Eklat also nicht mehr möglich, derzeit bastelt die Stiftung mit dem britischen Architekten David Chipperfield an einer möglichst unauffälligen Lösung.
Doch während Kulturforum und Museumsinsel als Leuchttürme der hauptstädtischen Highlight-Kultur längst unbestritten sind, droht das dritte große Museumszentrum in Dahlem zu veröden. Nach dem Auszug der Gemäldegalerie sind die Besucherzahlen gesunken. Um die verbliebenen Museen für Volkskunde, Völkerkunde, Ostasiatische und Indische Kunst „sehr bald wiederzubeleben“, will Zimmermann die notwendigen Umbauten möglichst rasch vorantreiben.
Bis dahin geht es bei der Stiftung unauffällig weiter. Erst über den Präsidenten, dann über Strukturen reden: Mit diesem Fahrplan hat Naumann vorerst den Ideen eine Absage erteilt, die Stiftung in ihre Einzelteile zu zerlegen oder in einer noch größeren Nationalstiftung, unter Einschluß von Opernhäusern und Theatern, aufgehen zu lassen. Die Museumsbesucher und Bibliotheksbenutzer dürfen sich freuen – hat doch der komplizierte Bund-Länder-Mechanismus kurzfristige Eingriffe der Finanzminister bislang verhindert. Nach den Kahlschlägen im Kultur- und Wissenschaftshaushalt des Landes Berlin ragt die Stiftung geradezu als Insel der Seligen aus der hauptstädtischen Landschaft heraus. Das schafft freilich neue Probleme: So kann sich die Staatsbibliothek als einzige Bibliothek, die noch einen angemessenen Etat für Neuerwerbungen besitzt, vor dem Publikumsansturm kaum retten. Es ist also durchaus nicht uneigennützig, wenn Zimmermann die Stirn sorgenvoll in Falten legt und das Land mahnt, die Berliner Kulturpolitik müsse „ganz andere Breiten“ abdecken als die „Highlight-Kultur“ der Stiftung: „Das wird eines der Probestücke für die künftige Hauptstadt.“
Ohnehin glaubt Zimmermann, die vielgeschmähten, langwierigen Entscheidungsabläufe in der scheinbar weltentrückten Villa Heydt könnten bisweilen „der Qualität der Entscheidungen“ zuträglich sein. Daß dieses Urteil auch auf die langwierige Prozedur der Präsidentenwahl zutrifft, mag er „nicht ausschließen“.
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