piwik no script img

Die Lady Di der Achtundsechziger

■ Helma Sanders-Brahms' Inszenierung „Ulrike, Mondzeit – Neonzeit“

Ein Abend über zwei romantische Helden, Heinrich von Kleist und Ulrike Meinhof. Er stammt von Helma Sanders-Brahms. Sie schrieb den Text, inszenierte ihn im Kleisttheater Frankfurt/Oder und war damit jetzt im Berliner Hebbel-Theater zu Gast. „Ulrike, Mondzeit – Neonzeit“ heißt die Geschichte. Ulrike wegen der Meinhof aber auch wegen Kleist. Kleist, der eine Schwester mit diesem Namen hatte. Wir werden auch einer dritten Ulrike an diesem Abend noch begegnen, doch davon später.

Zunächst wirft ein Scheinwerfer blasses Mondlicht an eine schwarze Wand. Im deutschen Wald zwitschern die Vögel. Und dann kommt sie, die wilde Schwester des armen Heinrich. Mit Reiterstiefeln unterm braunen Kleid, Zigarren in der Tasche. Wir wissen gleich, das ist der echte Kleist! Der Heinrich war nur eine müde Memme. Der konnte bloß werden, was er war, weil die Emanzipation zu Kleistens Zeiten noch nicht so gut entwickelt war. Im Stil von Christine Brückners „Wenn Du geredet hättest, Desdemona“ hat Helma Sanders-Brahms dem Fräulein Kleist einen Monolog auf den Leib geschrieben, der die ganze Geschichte nochmal ins fahle Licht des Vollmonds rückt. Das Elend einer „von der Natur kastrierten“, die ihrem Bruder Mutter, Schwester und Geliebte sein wollte und die jetzt ziemlich sauer ist, weil dieser Bruder sich mit einer anderen erschossen hat. Der Bruder ist jetzt tot und bald berühmt. Sie, die edle Seele, bloß eine vertrocknete Pflaume, eine Lehrerin im Mädchenpensionat.

Eva Matthes ist Ulrike Kleist, und einer anderen hätte man das ganze Drama wahrscheinlich nicht abgenommen. Die Fallhöhe zwischen Eva Matthes und der restlichen Veranstaltung wird erst richtig offenbar, wenn die Nebenfiguren auftauchen. Erst ein seltsam rotgesichtiger Geistlicher, der auch beim Königlich Bayrischen Amtgericht seinen Dienst versehen könnte, später ein albernes Ärzteteam in weißen Gummikitteln. Wir sind in der Pathologie eines deutschen Gefängnisses angelangt. Unterm weißen Tuch liegt, frisch obduziert, Ulrike Meinhof im Neonlicht. Drumrum liegt blutiger Müll. Die albernen Ärzte verschwinden in die Mittagspause. Zurück bleibt Ulrike Weber, die dritte, Helferin bei der Obduktion. Sie saß mal mit der toten Ulrike im lila Käfer und fühlt sich jetzt, als ob da ihre Schwester läge. Das Radio spielt Janis Joplin, und da kommt die Erinnerung wieder an die gute alte Zeit, als man noch die Welt verändern wollte. Erst mal wird abgetanzt, dann folgt ein Monolog in historisch korrektem Fachvokabular mit einem Hauch von Antigone.

„Deutschland müßte ganz anders sein!“ ruft die überlebende Ulrike und schüttelt sehr bewegt das lange Haar. Sie murmelt von Ulrikes Texten und daß es wohl in Deutschland anders wäre, wenn Ulrike lebte. Nun schafft es selbst die Matthes im orangen Kittel nicht mehr, den Text zu erlösen. Ein Text, der Ulrike Meinhof nun endgültig zur Lady Di der Achtundsechziger stilisiert. Ein Klischee jagt das nächste, vom Sit-In direkt in den Untergrund. „Laß den Scheiß! Schreib wieder!“ ruft die eine Ulrike der anderen nach. Doch die hört nicht. Und wir wissen, wie die Geschichte ausgegangen ist. Esther Slevogt

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen