In 24 Stunden durch Europa

Joschka Fischer hetzt bei seiner ersten Reise als Außenminister von Paris nach London und weiter nach Warschau. Viel zu sagen gibt's nicht. Es geht vor allem um Atmosphärisches  ■ Von Bettina Gaus

London (taz) – Mit historischen Ereignissen ist das so eine Sache. Sie lösen bei den Zeitzeugen Ratlosigkeit aus. Der erste grüne Außenminister Deutschlands reist zu seinen Antrittsbesuchen nach Paris, London und Warschau. Da möchte man ihn schon irgend etwas Bedeutendes fragen in den paar Minuten, in denen er mit den begleitenden Journalisten im Flugzeug plaudert. Vielleicht möchte er auch irgend etwas Bedeutendes sagen. Aber wenn einer gerade einen halben Tag im Amt ist, hat er noch nicht soviel zu erzählen, und es gibt eigentlich auch nichts, was man unbedingt erfahren möchte.

So muß Joschka Fischer denn unentwegt nur berichten, wie er sich gerade fühlt. Es sei alles noch ein bißchen „irreal“, antwortet er, und morgens bei den Radionachrichten habe er bei dem Wort Außenminister spontan den Namen Kinkel erwartet. Das wird schon stimmen, hört sich spätestens beim dritten Mal aber reichlich kokett an. Es ist halt ein Kreuz mit den historischen Augenblicken.

Früher ist Joschka Fischer einmal Straßenkämpfer gewesen, was sich durch die häufige Wiederholung dieser Tatsache in den Zeitungsartikeln der letzten Tage allmählich wie eine ganz normale Berufsbezeichnung anhört. Jetzt kämpfen andere für ihn die Straße frei: Motorradfahrer scheuchen alles an den Straßenrand, was sich nicht schnell genug vor der Wagenkolonne in Sicherheit gebracht hat, die mit Blaulicht und Sirene durch Paris jagt.

Der Terminplan muß unbedingt eingehalten werden, denn er ist knapp. Das französische Protokoll braucht sich den Kopf über eine mögliche Menüfolge für den Vegetarier nicht zu zerbrechen. Für ein Abendessen langt die Zeit ohnehin nicht. Nach den Antrittsbesuchen beim Amtskollegen Hubert Vedrine und Premierminister Lionel Jospin, einem ganz kurzen Plausch mit der grünen Umweltministerin Dominique Voynet und einer Stippvisite in der Nationalversammlung geht die rasende Fahrt weiter zum Flughafen. Schnell, schnell. In London wartet Außenminister Robin Cook mit dem Abendessen. Den traf Fischer auch am nächsten Morgen noch einmal, und das Gesprächsklima war offensichtlich so sonnig wie das Wetter. Volle Übereinstimmung in allen Bereichen. Vom Kosovo-Konflikt, an dessen Lösung sich Deutschland und Großbritannien mit je 200 OSZE-Beobachtern beteiligen wollen, über eine gemeinsame Beurteilung der Lage in Rußland bis hin zu Menschenrechtsfragen. Cook fand weit freundlichere Worte für den neuen Kollegen als kurz zuvor der französische Minister. Er habe sich gefreut, daß „Joschka“ gleich in den ersten 24 Stunden nach London gekommen sei.

Deutliche Klimaunterschiede bei den Visiten in Paris und London also. Daß dies Raum für Interpretationen lasse, ahnt auch Fischer: „Es geht hier nicht um eine deutsch-französische Achse, es geht hier nicht um deutsch-französisch-britische Dreiecke“, betont er ungefragt. Es gehe um Zusammenarbeit, „die sich gegen niemanden richtet“. Ein Journalist hakte dennoch nach. Es entstehe der Eindruck, daß sich der Schwerpunkt deutscher Außenpolitik von Paris nach London verschiebe. Fischer: „Nein, der Eindruck ist völlig falsch.“

Nicht bei allen Gesprächspartnern scheint der eilige Eifer nur Begeisterung auszulösen, mit dem Joschka Fischer durch drei europäische Hauptstädte tourt. Daß französische Journalisten gerne wissen wollen, was er denn in Paris gerne äße, wenn er denn dazu Zeit hätte, läßt sich noch unter „bunte Meldungen“ verbuchen. Aber auch die Hinweise von Hubert Vedrine auf die knappe Zeit fallen ein bißchen allzu häufig, um als bloße Floskeln verbucht werden zu können. So richtig herzlich ist der Ton auch nicht. „Interessant“, antwortet Vedrine auf die Frage einer französischen Journalistin, wie ihm denn der neue deutsche Außenminister gefiele. Der selber sagt Sätze, die aufhorchen lassen: „Es gibt ein hohes Maß an Gemeinsamkeiten. Es gibt unterschiedliche Bewertungen, die nicht ausdiskutiert werden konnten.“

Unterschiedliche Bewertungen – ist das in der eleganten Diplomatensprache nicht die höfliche Umschreibung für einen veritablen Krach? Oder haben sich alle nur schon so sehr an die glatten, nichtssagenden Freundschaftsbeteuerungen der letzten Jahre gewöhnt, daß schon die Erwähnung einer Selbstverständlichkeit als politisches Signal wirkt? Beherrscht etwa Joschka Fischer die üblichen Formulierungen noch nicht fließend? Oder will er hier einen neuen Stil der Amtsführung setzen: Offener, direkter, schnörkelloser? Jetzt gäbe es genug Fragen an den Außenminister. Aber da sitzt er schon wieder im Auto.

Vor ein paar Monaten noch hat Joschka Fischer betont, er halte es „auf absehbare Zeit für kaum möglich“, das enge deutsch-französische Verhältnise „hin zu einer Triade“ mit Großbritannien zu öffnen. Nun übernachtet er immerhin in London und nicht in Paris. Viel Zeit bleibt ihm jedoch auch hier nicht. Der neue deutsche Außenminister muß gleich nach Warschau weiter und damit zeigen, wie sehr ihm die Öffnung der Europäischen Gemeinschaft nach Osten am Herzen liegt. Daß ihm die Allgegenwart Gottes leider nicht zu Gebote steht, darauf hat Joschka Fischer selbst hingewiesen. Aber er bemüht sich doch immerhin redlich darum.