Cooler Vogel

Jenseits therapeutischer Attitüde: John Lurie gastierte mit neuem Ensemble und Programm in der Fabrik  ■ Von Andreas Schäfler

Rechts hinter mir waren zwei, unten links noch einer, und auf die ganze, gut besetzte Fabrik verteilt mögen es weitere fünf oder sechs Störenfriede gewesen sein. Ihr vernehmliches Gelaber, worüber auch immer, garnierte bald jede leise Konzertpassage. John Lurie war perplex. Bat höflich, vielleicht auch etwas umständlich, um Ruhe im Saal und erntete damit nur noch mehr Ungemach. John Lurie war entrüstet. Zischte off stage ein paar Verwünschungen, schickte übers Mikro ein „asshole“ hinterher und siehe, das half. War es den Störenfrieden nur darum gegangen, den coolsten Vogel des Showbiz einmal ganz außer sich zu sehen?

John Lurie auf der Bühne – das ist schon deshalb eine Provokation, weil es die Begegnung mit einer multiplen Person nahelegt. Den begnadeten Solisten verkörpert er weniger mit dem Saxophon als per bloßer Anwesenheit: der Schauspieler schlechthin. Den begabten Rädelsführer aber gibt er genauso überzeugend: als ausführender Musiker, der in seinen Kompositionen die primus-inter-pares-Rolle abgeschafft hat.

Was Lurie mit seinem achtköpfigen Ensemble live aufführte, war ein Zwitter aus der Tonspur der TV-Comedy-Serie Fishing with John und dem aktuellen Repertoire der neubesetzten Lounge Lizards. Ein durchlaufender, jederzeit spannungsgeladener Sound-track, höchstens dann und wann ironisch mit gutem alten Fake-Jazz kokettierend, insgesamt aber auf ein enorm wagemutiges Zusammenspiel angelegt. Die Zauberformel für sein Gelingen liegt in der idealen Besetzung, resultiert in einer Quersumme aus eigensinnigsten individuellen Handschriften. Wer sonst außer Lurie würde Leute wie das ungleiche Trommler-Duo Calvin Weston und Mauro Refosco, einen quirligen Bassisten wie Tony Scherr, den unberechenbaren Doug Wieselman an Gitarre und Klarinette und die Cellistin Jane Scarpantoni unter einen Hut kriegen, ohne daß er den Augen- und Ohrenzeugen gleich wieder hochginge?

Zwar konnte man vor nichts und niemandem sicher sein, lernte also impressionistischen Intros und milden Übergängen zu mißtrauen, weil man schon mit einer Breitseite des ganzen Bläsersatzes rechnete, wurde statt dessen von einem Sopransax-Tupfer aus dem Nichts erwischt und – schwupp – ins Entmüdungsbecken eines nie gehörten Grooves entlassen. Ein musikalisches Wechselbad ohne therapeutische Attitüde, ohne eindeutige Stilzugehörigkeit und auch ohne verläßliche Dauer über den glücklichen Moment hinaus.