■ Bei Ministers zu Haus (10) – die Heime unserer neuen Regierung: Astralleib im Keller
„Herzlich willkommen!“ schallt es mir entgegen, als sich die hohe Tür des Hauses Schily öffnet. „Kommen Sie rein, junger Mann“, ermuntert mich Otto Schily und gibt mir die Hand; sie fühlt sich fest und gepflegt an. Gar nicht wie ein Polizeigriff, denke ich und erinnere Schily gleich an den Grund meines Besuchs: Wir sind zu einem Interview über Fragen der Inneren Sicherheit verabredet.
„Innere Sicherheit gibt mir meine Familie. Sollten Sie auch mal versuchen“, lächelt Schily und wischt das Thema vom Tisch. „Und außer der Familie ist da natürlich noch Rudolf Steiner, mein geistiger Ziehvater.“ Schily weist stolz auf einen großen Wandteppich, auf dem ich lese: „Seit die Wurzelrasse der Hierarchie der Adepten zur Erde niedergestiegen ist und die Söhne des Feuernebels als Lehrer der Menschheit herniederkamen, ist die Welt niemals ohne Lehrer gewesen, und es hat niemals ein Glied gefehlt in der heiligen Kette, die beginnt bei dem namenlosen Einen, der der große Initiator ist, und die endet bei den niedersten Zöglingen, die sich zum Dienste der großen Loge verpflichten auf einem der vorgeschriebenen Wege.“
„Das ist von Steiner“, strahlt Schily, „und den Teppich hat meine Mutter geknüpft. Ist die Klarheit der Steinerschen Gedanken nicht faszinierend?“ – „Äh, sicher“, gebe ich zurück und erinnere Schily nochmals an unser Interview. Er nimmt mich am Arm und geleitet mich durch eine leise schnatternde Gruppe von Frauen und Männern. „Das ist unsere Freitags-Weleda-Gruppe“, lächelt Schily nicht ohne Stolz, „wir machen hier jeden Freitag eine kleine Verkaufsparty für Freunde und Fremde. Haben Sie Interesse?“
Ich setze mich auf einen Holzschemel, den mir der Anwalt parat rückt. „Schauen Sie mal“, sagt Schily jetzt und nimmt ein kleines Fläschchen von einem Regal, „Weleda Wildrosenöl. Kann ich sehr empfehlen. Das nehme ich selber. Und mein Teint kann sich sehen lassen.“ Stimmt: Rosig sieht er aus, der Herr Anwalt – der mit sanfter Stimme weiter auf mich einspricht. Weleda Wildrosenöl verinnerlicht die Kraft der Sonne. Na, wie wär's, junger Mann? Ab zehn Flaschen kann ich Ihnen einen Rabatt lassen.“
Leicht ungläubig sehe ich ihn an. Ist das Otto Schily, der sozialdemokratische Polizeiminister, der Manfred Kanther für die gehobenen Kreise? „Aber... die Politik... Ihre Kanzlei?“ versuche ich, das Thema zu wechseln. Schily winkt ab. „Anwaltskanzlei, Ministeramt – das hört sich doll an. Aber man ist den Schwankungen der Konjunkturen unterworfen. Anthroposophen dagegen wird es immer geben. Und ich muß nicht diese Kompromisse machen: Wenn ich Weleda verkaufe, stehe ich voll dahinter. Da bin ich ganz eins mit mir, ohne diese Zerrissenheit. Und Leichen gibt es bei mir nicht zu finden. Höchstens Astralleiber.“
Schily rückt näher, senkt seine Stimme verschwörerisch zu einem heiseren Flüstern. „Weleda-Wildrosenöl hält die Haut spannkräftig und hat eine beruhigende und harmonisierende Wirkung auf Ihre Stimmung. Wenn Sie es hauchdünn auftragen, bildet es keinen störenden Fettfilm. Reiben Sie Ihren Körper damit ein – immer in Richtung auf das Herz zu. Oder wollen Sie Fußpuder?“
Ich gebe auf und kaufe dem Mann eine Zahnpasta ab. „Sole – sehr gesund“, lobt er meine Entscheidung. Als ich das Haus verlasse, singen im Garten ein paar erdfarben gekleidete Kinder „Flamme empor“. Wiglaf Droste
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