: Farbwechsel im Arbeiterstadion
Mit Dalian Wanda als Meister geht die Saison in China zu Ende, doch die Fußballbegeisterung hat inzwischen auch die Hauptstadt der Volksrepublik erreicht ■ Aus Peking Georg Blume
Am himmelhohen Rand des Arbeiterstadions, unter verrostetem Wellblech, durch das der Regen tropft, kauern die Pekinger Fans auf nassem Beton. Draußen tobt ein kalter Herbststurm aus der Wüste Gobi. Weit unten, auf dem grünen Rasen, glänzt das Wasser im Flutlicht. Es ist der letzte Spieltag der Saison. Der Liga-Dritte, Peking Guoan, empfängt den Vierten aus Guangzhou. Ein Freundschaftsspiel, ein Fußballfest sollte es werden, denn die Tabellenplätze sind bereits verteilt. Niemand hatte mit dem Unwetter gerechnet. So aber wird die Wasserschlacht zur Probe aufs Exempel für die chinesische Fußballkultur. Wer sieht sich den exotischen Balltanz im Regen noch an? Voll wie zu Maos Zeiten war das Arbeiterstadion in dieser Fußballsaison nur einmal: Als man im Juni gegen den nunmehr dreimaligen Meister der vier Jahre jungen Profiliga, Dalian Wanda, antrat. Das vorentscheidende Spiel ging 1:2 verloren. Doch 80.000 Pekinger tauchten das ausverkaufte Arbeiterstadion in das Grün ihres Fußballclubs – als wollten sie demonstrieren, daß die Hauptstadt die Farben gewechselt hat, von Rot auf Grün, von der Partei zum Fußball.
Gegen Guangzhou ist von der Masseneuphorie, die Fußball in China inzwischen auslösen kann, nichts zu spüren. Im Herbstregen versammeln sich die echten Fans: Zehntausend sind gekommen, ein gemischtes Publikum aus Arbeitern und neureichen Angestellten, von denen jeder zweite die Namen der deutschen Weltmeister von 1974 auswendig weiß. Fußball kennt auch in China keine sozialen Grenzen, und aus irgendeinem Grund ist der deutsche Fußball unter Pekingern besonders beliebt. Vielleicht weil er so nordisch und kraftvoll wirkt. Der beste chinesische Fußball wurde bisher immer im Norden, in der Provinz Liaoning gespielt, deren größter Hafen Dalian heißt.
Nun aber geht es gegen eine südländische Mannschaft. Guangzhou ist die kulturelle Metropole Südchinas und verfügt über eine technisch brillante Elf. Schon nach wenigen Minuten steht es 1:0 für die Gäste. Wie populär der Sport auch in den subtropischen Breiten der Volksrepublik ist, zeigt der Erfolg der größten Fußballzeitung des Landes, die jeden Montag und Donnerstag mit einer nationalen Auflage von knapp 2,2 Millionen Exemplaren in Guangzhou erscheint. Daher kennt man auch die Neuigkeiten aus Dalian. Die Meistermannschaft muß den Besitzer wechseln, nachdem der Immobilienkonzern Wanda, der dem Verein bisher seinen Namen gab, mit dem Fußballgeschäft Verluste in Höhe von acht Millionen Mark einspielte.
Der Fall Wanda deutet auf die Probleme des Fußballs in einem kommunistischen Entwicklungsland hin: Trotz Trikotwerbung und modernem Marketing kommen 13 von 14 Erstliga-Vereinen nicht aus den roten Zahlen. Gute Spieler beziehen Jahresgehälter zwischen 100.000 und 200.000 Mark. Die Behörden verlangen hohe Stadiongebühren. Und das Staatsfernsehen zahlt keinen Pfennig für die Übertragungsrechte, sondern verlangt von den Vereinen Gebühren für die TV-Ausstrahlung. Nur der Großsponsor Marlboro sichert bisher das Überleben der Profiliga, während der Pokalwettbewerb, dessen Finalhinspiel morgen Shanghai und Liaoning bestreiten, vom Elektrokonzern Philips gestützt wird.
Die schlechten Nachrichten aus Dalian können die Pekinger Fans jedoch nicht bedrücken. Ganz im Gegenteil: Würde die Fußballkrise in der nördlichen Hafenstadt auch auf die Mannschaft durchschlagen, könnte die Meisterschaft endlich spannend werden. Bisher geht das Wettrennen zwischen Peking, Guangzhou und Shanghai immer nur um den zweiten Platz, den in diesem Jahr Shanghai eroberte.
Unter den Verfolgern steht es jetzt 1:1 nach einem Foulelfmeter. Die Mannschaft aus Guangzhou ereilt das Schicksal, das die chinesische Nationalmannschaft im internationalen Wettbewerb schon so oft zurückwarf: Die mit hochklassigem Angriffsspiel erkämpfte Führung kann unter dem Druck eines konditionell und physisch stärkeren Gegners nicht verteidigt werden. 2:0 führte China im entscheidenen Qualifikationsspiel gegen den späteren WM-Teilnehmer Iran, um am Ende mit 2:4 zu unterliegen.
Im Pekinger Unwetter bleibt die befürchtete Hackerei auf dem Spielfeld aus. Es siegt die Ballartistik der Akteure über den schweren, von Pfützen durchtränkten Platz. 2:1 gewinnen die Pekinger nach einer Einzelleistung ihres WM-Spielers aus Paraguay. Zum Abschluß der Saison trompeten und posaunen die Fans fröhlich unterm Stadiondach.
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