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Türkische Medienschau

Die rot-grüne Koalition weckte bei türkischsprachigen Tageszeitungen in Frankfurt große Erwartungen, vor allem das Thema doppelte Staatsbürgerschaft.

„Wunderbar“ betitelte Hürriyet ihre Schlagzeile auf deutsch: „Die von Deutschen gebetsmühlenartig ständig erwähnte Integration beginnt nun endlich mit Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft. Dies kommt einer Wiedergeburt der türkischen Gemeinde in Deutschland gleich.“(17. 10. 98)

Revolution. Ein offener Brief von Hürriyet an die neue Koalitionsregierung: „Wir danken im Namen unserer Leser den führenden Politikern von der SPD und den Grünen, daß sie in Deutschland eine solche Revolution (Beschluß über die doppelte Staatsbürgerschaft) verwirklicht haben.“(17. 10.)

Widerspruch. Die Hürriyet zu einer Aussage der neuen Ausländerbeauftragten Marie-Luise Beck: „Auch wenn sich die ausländischen Bürger in Deutschland integrieren, wollen sie die Bindung und Gefühle zu ihrer ursprünglichen Heimat nicht aufgeben. Diesen Widerspruch müssen wir akzeptieren, so der O-Ton von Frau Beck. Mit dieser Feststellung trifft sie die Sache.“(23. 10.)

Gnadenlos contra Cem Özdemir wettert Hürriyet: „Cem Özdemir genießt in weiten Teilen der türkischen Gemeinde kein Ansehen. Der Assimilationist Cem Özdemir hat immer versucht, die in Deutschland lebenden Türken der Türkei zu entfremden. Er hat sie beschimpft, daß sie zwar hier leben, aber in ihren Gedanken in der Türkei sind. Er hat versucht, die türkische Presse in Deutschland unter Druck zu setzen. Herr Özdemir soll gesagt haben, daß er die neue Ausländerbeauftragte Beck bei ihrer Arbeit unterstützen möchte. Wir sagen dazu: Er soll keine Schatten werfen. Mehr wird von ihm nicht verlangt.“(17. 10.)

Jungfräulichkeit. Auch die türkische Politikerszene liefert Kabarettreifes. Die für Frauen zuständige türkische Ministerin Isilay Saygin erklärte in einem Interview, daß sie noch Jungfrau sei. Die ledige Mittfünfzigerin sorgte damit für Spott und Hohn in allen Medien und in der Bevölkerung. Ihre weitere Aussage, „Ich hätte es mir anders gewünscht, aber ich habe keine Zeit für so etwas gehabt“, hat die Belustigung gesteigert. Die als ultrakonservativ geltende Ministerin, die den unehelichen Beischlaf unter Strafe stellen möchte, war auch für den bekannten Kabarettisten Levent Kirca ein Thema. Nachdem dieser die Ministerin im Kanal DTV auf die Schippe nahm, hat die türkische Medienanstalt dem Sender Sendeverbot erteilt. Nun trat Kirca gegen diese undemokratische Entscheidung in Hungerstreik.(Sabah: 30. 10.)

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