■ Die Anklagen gegen Pinochet stoßen in den USA auf taube Ohren
: Ein europäisches Zeichen

Ein spanischer Untersuchungsrichter tat den ersten Schritt, als er ein Ermittlungsverfahren wegen Völkermordes, Folter und Terrorismus gegen Augusto Pinochet einleitete. Die britische Justiz tat den zweiten, indem sie den Ex-Diktator verhaftete. Richter in der Schweiz und in Frankreich taten den dritten, indem auch sie seine Auslieferung beantragten.

Die Affäre Pinochet hat einen regelrechten Dominoeffekt ausgelöst. Es zeigte sich eine Bereitschaft, international Verantwortung zu übernehmen, die neu ist. Ein Engagement, das noch vor wenigen Jahren angesichts der ideologischen Fronten im Kalten Krieg undenkbar gewesen wäre. Diese Reaktion ist ein Hoffnungsfunke – egal ob sich der Ex-Diktator vor Gericht verantworten muß oder nicht.

Allerdings war dies auf Europa beschränkt. In den USA fand sich bislang kein Richter, der die Auslieferung des Ex-Diktators verlangte. Dabei gäbe es, jenseits der Unterstützung von US-Geheimdiensten beim Pinochet-Putsch, genug Gründe, den Mann vor ein US-Gericht zu stellen. Schließlich fand in Washington 1976 mit dem Bombenattentat gegen den chilenischen Ex-Minister Orlando Letelier und seine Sekretärin eines der bekanntesten Auslandsverbrechen des Regimes statt. Dazu eines, für das US-Bundesrichter 1980 den Pinochet-Geheimdienst Dina verantwortlich machten.

Die Affäre Pinochet zeigt erneut eine Konstellation, wie sie schon anläßlich der Verhandlungen um einen Internationalen Strafgerichtshof (ICC) in Rom aufgetaucht war: Hier Europa, dort die USA. In Rom wollte Westeuropa einen mit weitgehenden Kompetenzen ausgestatteten ICC. Die USA hingegen sperrten sich dagegen, daß ein ICC im Zweifelsfall auch gegen ihre „nationalen Interessen“ vorgehen könne. Gäbe es heute schon einen ICC, könnte er über die Verbrechen der Pinochet-Diktatur – aber auch über die ausländischen Verantwortlichkeiten dabei – richten. Denn zahlreiche Vorwürfe gegen Pinochet sind von den in Rom beschlossenen Statuten erfaßt.

Die römischen ICC-Verhandlungen und die Affäre Pinochet eröffnen eine neue, ethische Dimension europäischer Zusammenarbeit. Vielleicht gewinnt Europa eine neue Handlungsfähigkeit gegenüber den USA, die bislang bei allen internationalen Konfliktlösungsversuchen die Regie führten. Es ist ein Zeichen. Auch wenn es nicht aus den Institutionen kommt, von denen seit Jahren vergeblich eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik erwartet wird, sondern aus der Justiz. Dorothea Hahn