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Wirtschaftshilfe verzweifelt gesucht

Seit dem Einstieg des US-Stromriesen Southern Company bei der Bewag hofft man in Berlin auf Hilfe aus Übersee. Impressionen von einer Werbetour der Berliner in Atlanta/Georgia  ■ Von Uwe Rada

An der Peachtree Road, einer der zahlreichen Ausfallstraßen nach Suburbia, steht das symbolträchtigste Wahrzeichen von Atlanta. Es ist eine Uhr, auf der in digitalen Ziffern die aktuelle Bevölkerungszahl der Boomtown zu lesen ist. „An manchen Tagen“, freut sich Gerd Freund, ein Mitarbeiter des deutschen Generalkonsulats in Atlanta, „kommen hier über 800 neue Bewohner dazu.“ Die Botschaft der Bevölkerungsuhr ist eindeutig – sie heißt grenzenloses Wachstum. Bis zum Jahr 2010 soll die Bevölkerung von Atlanta von derzeit 3,5 Millionen auf über 7 Millionen anwachsen. „Der Urban Sprawl“, scherzt Freund, „wird sich dann wohl bis Savannah erstrecken.“ Möglich wäre es. Anders als Los Angeles sind dem Wachstum der Metropolitan Area von Atlanta keine geographischen Grenzen gesetzt, außer dem Atlantik. Zwei Jahre nach den Olympischen Spielen setzt die Stadt, deren ehemaliger Bürgermeister William Hartsfield einmal sagte, sie sei „too busy to hate“ (zu geschäftig, um zu hassen), den Kurs fort, Kalifornien, Seattle und die Nordostküste als Wachstumsregion Nummer eins der USA zu überholen.

Wachstum ist auch die Philosophie des Stromgiganten Southern Company. 3,7 Millionen Kunden, darunter 80 Prozent der Industrie- und Dienstleistungsbetriebe, versorgen die Southern-Firmen mit Strom, für den liberalisierten US-Strommarkt eine beachtliche Marge. Doch mit dem Südosten der USA will Bill Dahlberg, der Vorstandsvorsitzende von Southern Company, nicht mehr vorliebnehmen. Dahlberg setzt ganz auf internationales Wachstum. Und auf Berlin. Seitdem die Southern-Company-Tochter Southern Energy Ende September 1997 zusammen mit den Bayernwerken und der PreussenElektra für 2,8 Milliarden Mark 75 Prozent der Aktien des Berliner Stromversorgers Bewag gekauft hat, spielt die deutsche Hauptstadt in Atlanta eine Schlüsselrolle. „Wir wollen uns in Berlin dauerhaft engagieren“, freut sich Barney Rush, der Vizepräsident von Southern Company, auf den Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Zumindest eines wunderbaren Geschäfts: Wie in Atlanta will Southern auch in Berlin nicht nur Strom verkaufen, sondern sich in der Wirtschaftsförderung engagieren und den Behörden mit „Public-Private- Partnerships“ zur Hand gehen. „Schließlich“, sagt Tom Allen, Direktor der Wirtschaftsförderung von Southern Company, die allein in den letzten 10 Jahren 150.000 neue Jobs in Atlanta geschaffen hat, „ist Berlin ähnlich wie Atlanta ein Tor zu neuen Märkten, vor allem in Osteuropa.“

Außerhalb der deutschen Hauptstadt, hat der Geschäftsführer der Marketing-Gesellschaft „Partner für Berlin“, Volker Hassemer, einmal gesagt, würde Berlin einen viel besseren Ruf genießen als in der Stadt selbst. „In Berlin wird vieles zu negativ gesehen“, glaubt auch Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing (SPD), die anläßlich des ersten Jahrestags der Bewag-Privatisierung den Southern-Bossen einen Antrittsbesuch abgestattet hat. Der Achse zwischen der einstigen Olympiabewerberstadt Berlin und der letzten Olympiastadt Atlanta, seit der Bewag-Privatisierung immer wieder bemüht, scheint eigentlich nur noch eine direkte Flugverbindung zu fehlen. Doch sind die Regionen tatsächlich vergleichbar?

Der Lenox Square ist eine jener neuen „Edge Cities“ oder „New Downtowns“, die – umgeben von ausgedehnten „Residential Areas“ – die Topographie Atlantas mittlerweile mehr bestimmen als die in den achtziger Jahren erneuerte Downtown mit ihrer markanten Skyline. Ein Platz im europäischen Sinne ist der Square freilich nicht, sondern vielmehr Parkplatz für die angrenzende Shopping-Mall, die mit ihren 300 Geschäften mehr als doppelt so groß ist wie die Potsdamer-Platz-Arkaden in Berlin.

Niedrige Löhne und keine Gewerkschaften

Unweit der Shopping-Mall, in Buckhead, hat der Generalkonsul der Bundesrepublik Deutschland, Klaus Zehenter, seinen Wohnsitz. Anders als etwa in Miami, wo der Konsul vor allem mit Touristen zu tun hat, ist Zehenter, der die Bundesrepublik in den Südoststaaten Georgia, Alabama, South und North Carolina vertritt, vor allem für die bundesdeutschen Geschäftsleute zuständig.

Auch Christoph Rücker, ein Anwalt, der für seine internationale Kanzlei derzeit den Standort Atlanta aufbaut, weiß die Dienste und Dinners des Generalkonsuls zu schätzen. Vor allem aber die „hervorragenden Standortfaktoren hier in Georgia“. Niedrige Löhne, niedrige Grundstückspreise, keine Gewerkschaften – Rücker weiß gar nicht, womit er anfangen soll. „Und das Wetter natürlich, bis in den November warm und dann nur 2 Monate Winter.“

Auch Konsulatsmitarbeiter Gerd Freund ist von Atlanta überzeugt. Voller Stolz zählt er die Reihe der deutschen Firmen auf, die in den vergangenen Jahren ihre Dependancen in Altlanta eröffnet haben, darunter auch das „Headquarter“ von Porsche Nordamerika sowie die Elektromechanik- Sparte von Siemens in München.

Nur Hans Estermann, Chef der Berliner Wirtschaftsförderungs GmbH, ist ob dieser Südstaaten- Erfolgsmeldungen nicht ganz wohl. Immerhin ist er, wie auch die Berliner Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing, nach Atlanta gekommen, um für Berlin, das heißt den umgekehrten Weg über den Atlantik, zu werben. Estermann weiß, daß er in Sachen Berlin noch jede Menge Überzeugungsarbeit leisten muß, um die Standortfaktoren aus Georgia wettzumachen. Und tatsächlich scheint sich beim Abendessen in der Residenz des Generalkonsuls die Geduld Estermanns auszuzahlen. „Wenn ich heute noch einmal jung wäre“, sinniert Atlanta-Anwalt Rücker zu vorgerückter Stunde, „dann würde ich nach Berlin gehen. Das ist zur Zeit die spannendste Stadt in Europa.“

Einen Tag später hat der Wirtschaftsförderer Estermann noch mehr Grund, sich zu freuen. Nicht nur, weil Jason Harlan, Leiter der Berlin-Repräsentanz von Southern Energy, soeben erklärt hat, daß der Stromriese seinen Europasitz über kurz oder lang von London nach Berlin verlegen werde. Estermann kann sogar etwas Konkretes vorweisen. Spätestens Ende 1999 werde die Wirtschaftsförderung in Berlin von einem „Berlin Investment Center“ betrieben – und damit in der Regie von Southern Company, die daran denkt, die eigene Wirtschaftsförderungspraxis von Georgia nach Europa auszudehnen.

Zweifel kamen bei der Berliner USA-Reise nur am Rande auf. Vereinzelt wurde davor gewarnt, daß man den Amis eh nur die Hälfte glauben könne, und die Frage gestellt, wann Southern den Berliner Stromerzeuger Bewag wieder verkaufen werde. Sonst wurde über die Motive des Engagements von Southern in Berlin in Atlanta nicht gesprochen. Nicht von den Berlinern, weil die, verschrien als Provinzvertreter, auf internationalem Parkett einmal nicht ausrutschen wollten. Und auch nicht von den Atlantanern, weil Geschäfte, das heißt Profit, im Grunde nichts Ehrenrühriges sind.

Gegenüber den großen Fünfsternehotels „Hyatt“ und „Marriot“ in Downtown-Atlanta befindet sich nicht nur die Firmenzentrale von Southern Company, sondern auch das „Georgia Ressource Center“. Die Ressourcen der Region, über die beim Abendessen beim Generalkonsul so überaus freundlich gesprochen wurde, werden hier jede Woche aktualisiert. Doch nicht nur die Internet-Präsentation von verfügbaren Gebäuden, Lohnniveaus und Gewerkschaftsdichte steht auf dem Programm der Wirtschaftsförderung von Southern Company, sondern auch der direkte Kontakt zu Firmen aus dem Ausland oder anderen US-Bundesstaaten. Nicht gekleckert wird da, sondern geklotzt. Um eine Firma in die Region zu holen, spendieren die Wirtschaftsförderer schon mal einen Hubschrauberausflug, freilich nicht aus Altruismus, sondern aus wirtschaftlichem Kalkül: Jede Firma, die sich in Georgia ansiedelt, ist auch potentieller Großkunde von Southern Energy.

Liberalsierung lockt US-Firmen nach Berlin

In Berlin allerdings ist jeder, trotz Privatisierung der Bewag, noch immer Kunde des einstigen Monopolisten. Und auch die Ansiedlungspolitik der Southern Company in Atlanta und dem Flächenstaat Georgia ist mit der Situation in der deutschen Hauptstadt nur schwer zu vergleichen. Während 75 Prozent aller Betriebe in der Metropolitan Area von Atlanta keine Dienstleistungs-, sondern Produktionsbetriebe sind, hatte Berlin seit der Vereinigung einen Abbau von 250.000 industriellen Arbeitsplätzen zu verkraften. Es dürfte also weniger die Wirtschaftsförderung sein, die Southern zum Engagement in Berlin motiviert, sondern die Tatsache, daß mit der Liberalisierung des Strommarktes im kommenden Jahr auch in Deutschland der Strommarkt vom Anbieter- zum Kundenmarkt werden könnte. Mehr noch. Auf lange Sicht wird auch in Berlin Strom nicht mehr nur hergestellt und verbraucht, sondern auch gehandelt werden. Auch hier steht Southern, in den USA die Nummer zwei beim Stromhandel, bereits in den Startlöchern. Immerhin werden sich dann auch in Berlin – und vielleicht auch einmal in Osteuropa – die Kunden an Begriffe wie Festpreise, Stromversicherungen, Wetterderivate oder ähnliches gewöhnen müssen.

Bisher haben sich aber noch nicht einmal die Berliner Politiker daran gewöhnt. Public-Private- Partnerships oder eine Vereinfachung im bürokratischen Dschungel bei der Ansiedlung von Betrieben verkaufen sich beim eher privatisierungskritischen Berliner Publikum allemal besser als die anstehenden Veränderungen auf dem Strommarkt, von denen auch Southern-Vize Barney Rush zugeben muß, daß sie sich zunächst nicht unbedingt positiv auf die Preise auswirkten.

Während sich auf der Peachtree Road die Bevölkerungsuhr von Atlanta langsam, aber sicher der 3,5-Millionen-Marke nähert, ist Finanzsenatorin und Amerika- Freundin Annette Fugmann-Heesing bereits in Richtung Boston weitergeflogen, wo sie sich über Public-Private-Partnerships zum Bau von Straßen und Brücken informieren will. Zuvor hatte sie sich noch einmal eindringlich bei der in Atlanta ansässigen Fluggesellschaft Delta Airlines dafür eingesetzt, baldmöglichst wieder eine Direktverbindung zwischen Atlanta und der deutschen Hauptstadt einzurichten. Die letzte Nonstopverbindung von Berlin in die USA war im Frühjahr eingestellt worden – zuwenig Kunden der Busineßklasse, lautete damals die Begründung von Delta. Fugmann- Heesing dagegen glaubt daran, daß Angebote, wenn sie erst einmal vorhanden sind, früher oder später auch genutzt werden. Ohne den Flughafen in Atlanta, den größten der USA, so Fugmann-Heesing, hätte es den Aufschwung im Südosten der USA nicht gegeben. Um so wichtiger sei es, mit Schönefeld ab 2007 in Berlin den modernsten Flughafen Europas zu haben.

Vorerst müssen die Global Players aus dem transatlantischen Raum allerdings mit Tegel vorliebnehmen, wo Samstags um zwölf manchmal bereits die Zeitungskioske geschlossen haben. Mittagspause statt „Southern Style“. Und auch die Bevölkerungsuhr am Kurfürstendamm, wenn es denn eine gäbe, würde noch auf absehbare Zeit im Rückwärtsgang laufen. In einem freilich ist Berlin Atlanta voraus. Symbole wie das Brandenburger Tor, wo sich Southern-Boß Bill Dahlberg gern fotografieren läßt, gibt es in Atlanta sowenig wie die anderen Bestandteile europäischer Urbanität. Wenn Atlanta zu geschäftig ist, um zu hassen, ist Berlin viel zu liebenswert, um nur geschäftig zu sein.

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