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„Eine Annäherung Schritt für Schritt“

■ Der polnische Außenminister Bronislaw Geremek über deutsch-polnische Problemfelder

taz: Sitzen die polnischen Arbeitslosen schon auf ihren Koffern, um nach dem Beitritt Polens zur Europäischen Union die Spargelfelder Deutschlands zu stürmen und Millionen von Deutschen ihre Arbeitsplätze wegzunehmen?

Geremek: Es wird zu keiner Massenmigration kommen. Diejenigen, die wegwollten, sind schon längst gegangen. Da es in Polen mehr und mehr gute Arbeitsplätze gibt, werden es die Menschen vorziehen, in ihrer Heimat zu bleiben. Im übrigen sollte die EU weniger als eine Institution angesehen werden, die die Biegung der Banane definiert oder den Eiermarkt regelt. Sie sorgt für Wohlstand, Stabilität und Sicherheit. Sie sichert den Frieden.

Das ist die große Idee. Aber die Menschen gucken in ihre Portemonnaies und sagen: „Alles schön und gut, aber ich habe keinen Job.“

Natürlich müssen wir auch über Arbeitsplätze reden. Wir sollten die Einzelprobleme ganz pragmatisch angehen. In Frage kommen Übergangslösungen mit einer Annäherung Schritt für Schritt.

Daran liegt Polen insbesondere beim Grundstücksverkauf.

Tatsächlich befürchtet man in Polen, daß es durch die allgemeine Freiheit, Land zu kaufen, zu einem Massenansturm auf die preiswerten Grundstücke in Polen kommen könnte. Das würde die Lage in Polen destabilisieren. Die Lösung kann in beiden Fragen nur durch eine pragmatische Herangehensweise gefunden werden.

Gilt das auch für das Repratriierungsgesetz? Nach dem Krieg hat Polen ja nicht nur Deutsche aus den ehemaligen Ostgebieten vertrieben, sondern auch aus Zentralpolen, die eigenen Staatsbürger also. Werden diese Deutschen demnächst ihr Eigentum zurückerhalten oder entschädigt werden?

Die Situation der Deutschen in Zentralpolen kann man nicht mit der im Sudetenland gleichsetzen. Tatsächlich aber ist diese Fragen noch nicht geklärt. Das Parlament muß sich in den nächsten Monaten mit ihr auseinandersetzen. Natürlich wird es dabei das europäische Recht berücksichtigen.

Die polnischen Zwangsarbeiter haben angekündigt, nun nach dem Vorbild der amerikanischen Sammelkläger gegen deutsche Unternehmen vorzugehen. Wird es mit Kanzler Schröder doch noch zu einer gütlichen Einigung kommen?

Hier hoffe ich, daß sich der Prozeß fortsetzen wird, der bereits unter der bisherigen Regierung begonnen hat. Volkswagen hat bereits eine namhafte Summe für eine Stiftung zur Verfügung gestellt. Da die Zahl der Anspruchsberechtigten aufgrund ihres hohen Alters sehr schnell sinkt, sind wir sehr gespannt, wie schnell die Sozialdemokraten und Grünen, die sich ja immer für die Kriegsopfer Hitlers eingesetzt haben, eine Lösung finden werden. Sie stehen jetzt in der Regierungsverantwortung. Da muß sich zeigen, was von den Forderungen aus der Oppositionszeit übrigbleibt.

Die Rückgabe der deutschen und polnischen Kulturgüter ruft immer wieder „Patrioten“ auf den Plan. Die Verhandlungen zwischen Deutschen und Polen sind seit Jahren festgefahren. Wird diese Frage mit der neuen Regierung leichter zu lösen sein?

Diese Diskussion ist für uns tatsächlich sehr schmerzhaft. Die Deutschen vergessen bei ihren Forderungen immer, welch enorme Verluste die polnische Kultur durch die Okkupation erlitten hat. Das befremdet uns sehr. Unsere Kulturverluste dürfen nicht einfach vergessen werden. Im Dezember nehmen wir die Verhandlungen wieder auf. Es muß allerdings über die Verluste und Forderungen beider Seiten gesprochen werden, nicht nur über die deutsche Rückforderung der Preußischen Staatsbibliothek. Interview: Gabriele Lesser

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