: Ist BSE nun ein Produkt oder nur Wahnsinn?
■ Europaparlament will Produkthaftung ausweiten. Pharmaindustrie bleibt unbehelligt
Berlin (taz) – Produzenten haften für ihre Produkte. Das gilt nicht nur für Industrieprodukte, sondern auch für „unverarbeitete landwirtschaftliche Rohstoffe“ wie Erzeugnisse aus Bodenbewirtschaftung, Tierzucht oder Fischerei. Das besagt zumindest eine neue Produkthaftungsrichtlinie, die gestern in erster Lesung das Europäische Parlament passierte.
Anlaß für die Neuregelung war die BSE-Krise, die jüngst wieder aufgeflammt war. Obwohl bereits seit Jahren über den sogenannten Rinderwahnsinn diskutiert wird und so gut wie sicher ist, daß der Verzehr von verseuchtem Fleisch schwere gesundheitliche Auswirkungen auf Menschen haben kann, gab es bislang keine eindeutige Regelung dafür, wer in welcher Höhe für Schäden in diesem Zusammenhang belangt werden kann.
Mit der neuen Richtlinie soll die Haftungsobergrenze im Schadensfall von 70 auf 140 Millionen Ecu heraufgesetzt werden. Und auch die Frist, in der Produzenten grundsätzlich noch gerichtlich belangt werden können, wenn ihre Waren Fehler oder Mängel aufweisen, soll nicht mehr nach zehn, sondern erst nach zwanzig Jahren verstrichen sein. Das erleichtert spätere Schadensersatzklagen.
Zwar bestehen nach Ansicht der deutschen Berichterstatterin Dagmar Roth-Behrendt (SPD) auch in der zweiten Lesung noch reelle Chancen, daß sich einige weitere verbraucherfreundliche Änderungen durchsetzen lassen – zwei wichtige Punkte, die der Kommissionsvorschlag ausklammert, scheinen jedoch vorläufig nicht geklärt werden zu können.
Das ist zum einen die Frage der Haftung bei BSE, bei der sich das Parlament zu keiner konkreten Regelung durchringen konnte. Zum anderen betrifft es die Pharmaindustrie. So sind Gesundheitsschäden, die durch Pharmazeutika ausgelöst werden, auch zukünftig nicht vor Gericht einklagbar, wenn die Risiken nicht bereits während der Entwicklungs- und Erprobungsphase der Medikamente entdeckt wurden. Gegen eine anderslautende Formulierung hatte die Pharmaindustrie massiv interveniert. Und bei der Abstimmung im Europaparlament waren dann die Abgeordneten der christlich-demokratischen Fraktion PPE, Liberale und einige Sozialdemokraten aus Frankreich und Britannien eingeknickt. Und das, obwohl es in einzelnen Ländern – unter anderem in Deutschland – bereits nationale Haftungen gibt. Für Contergan-Schäden etwa, die in der Erprobungsphase des Medikaments ebenfalls noch nicht aufgetaucht waren, liegt die Haftungsobergrenze bei 200 Millionen Mark.
Auch eine „verbraucherfreundliche Beweisführung“ bei beschädigten oder fehlerhaften Industriegütern lehnte die Parlamentsmehrheit ab. Der Bundesverband der deutschen Industrie, der Verband der Chemischen Industrie und wieder die Pharmaindustrie hatten sich gegen entsprechende Forderungen von Roth-Behrendt gestemmt. Sie hatten damit argumentiert, daß dadurch die Entwicklung neuer und innovativer Produkte gefährdet werde.
Das Parlament hatte erstmals im Jahr 1985 beschlossen, in Europa Richtlinien für die Haftung für Produkte einzuführen. Damals war der Verbraucherschutz noch in keinem Vertrag der Gemeinschaft zu finden gewesen. Peter Sennekamp
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