: Dilettantische Opfermorde
Lecker. Zum Martinstag kommt die Martinsgans auf den Tisch und zu Ostern das sorgsam gemästete Stallkaninchen. Der Schlachter wird's gemeinhin schon richten. Diskret und mit sicherer Hand. Erst wenn der professionelle Tiermeuchler einmal fehlt und der Ungeübte zum Messer greift, ahnt der aufmerksame Beobachter: Große Feiertage erfordern auch große Opfer. Tieropfer. Denn die Eßgewohnheiten an unseren christlichen Festtagen sind im Grunde nichts anderes als ein schmackhafter Ersatz für unappetitliche heidniche Opferriten. Aufschlußreiche Szenen, beobachtet ■ von Reinhard Krause
Der Kaffee war gerade durchgelaufen, der Kuchen ausgepackt, da klingelte es an der Wohnungstür. Claudia eilte zur Tür und öffnete. Aha, die Nachbarin. „Hallo, Tete!“ In einem früheren, offenbar unbefriedigenden Leben hatte sie Margarete geheißen.
„Hei, Claudia! Gut, daß du zu Hause bist. Paß mal auf, kannst du mir gleich mal helfen und den Hannes festhalten?“
„Wie, den Hannes festhalten? Wer ist Hannes?“
„Mensch, Claudia, der große Rammler, du weißt doch!“
„Ja, schon“, sagte Claudia ein wenig lahm. „Aber warum soll ich den festhalten?“
„Also, paß auf: Eigentlich wollte der Stefan gleich vorbeikommen und den Hannes schlachten. Jetzt hat er aber gerade angerufen und gesagt, daß es heute wohl nichts wird mit ihm. Und morgen kommt mein Kunde und will sein Fleisch abholen. Da hab' ich mir gedacht, daß ich den Hannes einfach selber schlachte. Aber ich brauche jemanden, der ihn festhält.“
„Äh, ich hab' aber Besuch, wir wollten gerade Kaffee trinken.“ Das war ein Eigentor, ein halbes Einverständnis.
Die Tete witterte ihre Chance: „Es muß ja gar nicht gleich sein. Trinkt ihr in Ruhe euren Kaffee, ich komme dann so in einer Stunde und hole dich ab. Dann erledigen wir das mal eben, okay?“
„Aber weißt du denn überhaupt, wie das geht?“ Zwei zu null für die Tete.
„Na ja, direkt geschlachtet habe ich noch nicht. Aber ich habe schon total oft zugeguckt.“
Claudia sagte gar nichts mehr, sondern verlegte sich auf unglückliches Stöhnen.
„Du kannst mich doch jetzt nicht hängenlassen!“ Die Tete wurde ein wenig ungehalten, kriegte aber gerade noch die Kurve: „Paß auf, vielleicht schafft es der Stefan ja doch noch zu kommen. Und wenn nicht, dann hilfst du mir, abgemacht? Bis später dann. Tschau!“
„Tschau.“ Die Tür wurde ins Schloß geworfen. Claudia kam zurück in die Küche, etwas blaß um die Nase. „Warum kann ich nicht einmal klipp und klar nein sagen?“
Kirchliche Feiertage sind die letzte Bastion des dogmatischen Fleischverzehrs. Eine Frühlingsrolle am Sonntag? Okay. Aber ein Ostern ohne Braten, ein Martinstag ohne Gans – das gibt lange Gesichter. Das gehört sich einfach nicht. Große Feiertage fordern große Opfer.
Nicht beim Verzehr, sondern nur beim Schlachtvorgang selbst kann der erhabene Schauder ermessen werden, der mit dem Feiertagsbraten als Schlachtopfer einhergeht. In unserer technisierten Welt wird das schockierende Mirakel von Leben und Tod aber erst dann sinnfällig, wenn sich blutige Laien ans Töten machen.
Oma Käthe aus dem Rheinland etwa ist ein Beispiel dafür, wie Schlachten als ahnungslose Nachahmung zu ungünstigen Resultaten führt. Wie oft hatte sie gesehen, daß die Männer vor dem Martinstag und vor Weihnachten ganze Gänsefamilien geradezu beiläufig ins Jenseits befördert hatten. Sie hatten dabei auf einer Bank gesessen, eine der Gänse zwischen die Beine genommen, sie sanft und beruhigend gestreichelt – und dann sackte sie sacht in sich zusammen, weil die Männer ihr mit einem behenden Griff den Hals umgedreht hatten. Wie einfach!
Das mit dem zwischen die Beine klemmen und das Tätscheln gelang ihr noch glänzend. Das Tier schaute treu und brav. Jetzt der Griff, die Drehung! Die Gans, nun mit dem Kopf in Richtung Oma Käthe, wirkte beunruhigt. Schnell weitergedreht! Die Gans verstand die Welt nicht mehr. Oma Käthe auch nicht. Eilig schraubte sie weiter. Die Gans schaute sie schon wieder an, höchst lebendig und nach anderthalb Drehungen nun durchaus verstimmt. Warum lebte sie noch? War sie mit dem Teufel im Bunde? Entsetzt ließ Oma Käthe los, und der Kopf der Gans schnackelte in seine natürliche Ausgangsposition zurück. Benommen torkelte die Gans von dannen. Und legte von Stund an kein einziges Ei mehr.
Offenbar hatte Oma Käthe nicht mitbekommen, daß sie den Kopf mit der einen Hand hätte drehen und mit der anderen den Hals festhalten müssen. Die traumatisierte Gans jedenfalls galt fortan als begnadigt und wurde nie geschlachtet.
Auch Karl-Heinz aus Otthmarsbocholt in Westfalen, allgemein Heinzi gerufen, hat sich vor Jahren schwer an einem Schwein vergangen. Kaninchen – ja, die hatte er schon zu Dutzenden um die Ecke gebracht. Das ging hopphopp. Eines Tages aber war der Nachbar erkrankt, der sonst für die Erledigung der Dorfschweine zuständig war. Wo war das Problem? Das Werkzeug ließ sich ausleihen, und Helfer gab es auch genug. Sicher, so ein Schwein ist ein wenig kräftiger als ein Kaninchen, aber mit der richtigen Technik...
Das Wichtigste war zunächst, den Hof gegen etwaige Fluchtversuche des Schweins abzusichern. Also wurde die Toreinfahrt geschlossen und der Weg zu den Kaninchenställen mit ausrangierten Türen und Brettern verbarrikadiert. Das Schwein wurde derweil mit allerlei Freßbarem von dem bevorstehenden Grauen abgelenkt.
Was Heinzi nicht bedacht hatte, war ein Detail: Das Schlachtopfer sollte tunlichst nicht das Hinrichtungswerkzeug zu Gesicht bekommen. Kaum nämlich hatte das arme Tier Heinzis Messer in der Sonne blitzen sehen, da wußte es glasklar, was die Stunde geschlagen hatte. Es quiekte und grunzte und schrie und tobte in einem fort im Kreis herum. Eigentlich hätte man die ganze Sache gleich wieder abblasen sollen, aber Heinzi entschied: Was man angefangen hat, muß man auch zu Ende bringen.
Ein ungleicher Kampf, denn am Ende wälzten sich drei ausgewachsene Männer auf dem Katzenkopfpflaster. Das Schwein indes rächte sich über seinen gewaltsamen Tod hinaus. Denn vor lauter Panik hatte es in seiner gräßlichen letzten Viertelstunde so oft Wasser gelassen, daß die gesamte Ausbeute an Fleisch mit Urin besudelt war. Mochte man es noch so lange kochen, noch so scharf anbraten, es schmeckte nicht.
Zur Aufheiterung im Falle des Rammlers Hannes sind derlei Geschichten dilettantischer Mordversuche freilich wenig geeignet. Nachdem ihr der Kaffeedurst gründlich vergällt war, entschloß sich Claudia, die Angelegenheit auszusitzen, sprich: das stürmische Klingeln der Tete schlicht zu überhören. Mit autodidaktischen Ritualtötungen von Lebewesen, die einen Namen tragen, läßt sich schließlich der Seelenfrieden nicht bewahren. Sollte die Tete ihrem Kunden doch Hasenrücken von Karstadt verkaufen.
Reinhard Krause, 37, ist Redakteur im taz mag.
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