piwik no script img

Neues Outfit für die Platte

In Marzahn steht die größte Plattenbausiedlung Europas. Doch die häßlichen Entlein des Berliner Wohnungswesens sollen nun zu schönen Schwänen reifen  ■ Von Kirsten Niemann

Vor dem Ende der DDR waren die Wohnungen am östlichen Stadtrand so begehrt wie Westpakete und Eduscho. Die 60.000 Apartments, die hier in der Zeit von 1977 bis 1987 entstanden, galten schließlich als modern und bequem.

Doch kahlgeschorene Ausländerhasser, angegammelte Tristesse, gräuliche Fassaden und sozialistische Spießigkeit – das sind immer noch die Bilder, die man unweigerlich mit der größten Platte Deutschlands verbindet. Ein Image, das sich auf die Bewohner auswirkt: Lediglich 5.000 Ausländer wagten bislang einen Umzug nach Marzahn, das macht einen Anteil von nur drei Prozent der Gesamtbevölkerung. Doch die Bezirke Marzahn und Hellersdorf, die häßlichen Entlein des Berliner Wohnungswesens, sollen jetzt endlich zu Schwänen reifen.

Das haben zumindest die Bezirke und das Land Berlin beschlossen. Vor vier Jahren startete die Wohnungsbaugesellschaft (WBG) Marzahn ein großangelegtes Sanierungsprogramm, für das das Land Berlin günstige Darlehen in Höhe von rund 720 Millionen Mark springen ließ. 90 Millionen Mark steckte auch die Wohnungsgesellschaft Hellersdorf (WoGeHe) in die Aufhübschung ihrer ehemaligen Arbeiterschließfächer.

Zwar drängeln sich immer noch fliegende Händler mit kuriosen Textilartikeln in den zugigen Einkaufszentren von Marzahn. Doch bald schon soll hier am Helene- Weigel-Platz eine neue Shopping- Mall ihre Tore öffnen. Und in die Häuser soll ein Hauch von Luxus ziehen: Die Eingangsbereiche werden zu Foyers umgebaut, in denen eine Concierge sitzt, die bei Bedarf kleine Dienstleistungen übernimmt, wie das Annehmen von Paketen, Schlüsselservice und Fischefüttern.

Eines der drei Hochhäuser wurde bereits im vergangenen Jahr fertiggestellt: Die Wohnungen sind saniert, die siebzig Meter hohe Fassade ist nicht nur in einem freundlichen Gelb gehalten, sondern hat nun die größte Solaranlage, die je an einem europäischen Hochhaus installiert wurde: die Photovoltaikanlage, ein Versuchsballon in Sachen ökologische Bauweise. Einen „Beitrag zur Solarstadt Berlin“ nennen das die Investoren. Treppenlicht, Lüftung und Pumpen sollen hausintern versorgt werden. Die Bauherren gehen davon aus, daß so rund 8.200 Mark für Energie eingespart werden können. Durchschnittlich dürften das 25 Mark weniger Stromkosten pro Wohneinheit sein.

Die beiden anderen Hochhäuser am Helene-Weigel-Platz sind noch verpackt, die Baumaßnahmen an der Solarfassade liegen in den letzten Zügen. Der gestreßte Blick der Bewohner ist nun einem entspannten Ausdruck gewichen. Denn die Mieter bleiben auch während der Baustellenphase ihrem Kiez treu: Lediglich 35 Auszüge mußte die WBG während der Baustellenzeit verzeichnen. Schließlich bleiben die Mieten mit 7,20 Mark pro Quadratmeter noch im erträglichen Rahmen. Und es tut sich was.

Auch an den 21- und 11-Stöckern im Hauptzentrum Marzahns, der sogenannten Promenade, sieht man bereits erste Ergebnisse. Fast 1.500 Wohnungen sind saniert. Wo sich früher triste Einöde auftürmte, leuchten nun bunte Eternitfassaden. Die Balkone, die vor der Sanierung zur Edelplatte bestenfalls Platz für eine Bierkiste ließen, haben jetzt sogar Raum für den Trinker samt Stühlchen.

Im kommenden Frühjahr wird das Einkaufszentrum aufgepeppt: Das realsozialistische Flair des Kaufhofgebäudes wird einer Flaniermeile mit 100 Geschäften weichen. Der Clou der neuen Anlage: Eine riesige Flugdachpassage soll die unangenehmen Fallwinde abhalten, die dem Passanten heute noch um die Ohren wehen.

Noch erstaunlicher hat sich jedoch das Gelbe Viertel in Hellersdorf gewandelt, das die Wohnungsbaugesellschaft unter die Fittiche des brasilianischen Architekten Marcel Carvalho Fernandez gegeben hat. Wo die sechsstöckigen Häuserzeilen früher ohne sichtbaren Zusammenhalt in der Landschaft kleckerten, bemühte man sich um Quartierbildung. Jeder Eingang erhielt ein charakteristisches Outfit: Die Fassaden bekamen einen weißen, kalkähnlichen Anstrich, während die Dachränder und Gebäudesockel mit rosa, blauen und gelben Streifen verziert wurden.

Apart sind auch die Holzgitter an Balkonen und Hauseingängen, die in Südamerika als „Mujarabi“ bekannt sind. Über den Haustüren und in den Toreingängen liegen Fliesen im Muster der Kadiwoe- Indianer. Wo bis zur Wende 40 Prozent der Grünflächen brachlagen, pflanzte die WoGeHe 10.000 Bäume. Begrünte Innenhöfe, Kinderspielplätze und Bolzplätze bieten eine neue Lebensqualität.

„Brasilianisches Flair in Hellersdorf“, „bayerische Shopping- und Freizeitidee in Marzahn“ – die Wohnungsbaugesellschaften neigen sicherlich zu Übertreibungen. Doch unter den Einheimischen ist die Platte immer noch begehrt. Lediglich zwei Prozent Leerstand können die Wohnungsgesellschaften in der Edelplatte beklagen, die meisten wohnten schon zu Ostzeiten hier.

Und noch etwas wird trotz vieler Veränderungen bleiben: die Fuge an der Fassade als sichtbares Merkmal der Platte.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen