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Lehrstück in Politkultur

■ Im Prozeß gegen Malaysias Ex-Vizepremier mehren sich die Hinweise, daß er Opfer einer Verschwörung gewesen sein könnte

Der spektakuläre Prozeß gegen Ex-Vizepremierminister Anwar Ibrahim entwickelt sich immer mehr zum Lehrstück über die politische Kultur Malaysias. Er bietet zugleich bemerkenswerte Einblicke in die Arbeit der malaysischen Polizei.

Die Anklage lautet unter anderem auf „Amtsmißbrauch“. Anwar, so behauptet der Staatsanwalt, habe zwei Zeugen mit Hilfe der Polizei gezwungen, ihre Aussagen gegen ihn zurückzuziehen. Beide hatten behauptet, er habe sowohl mit der Frau seines Privatsekretärs als auch mit einem Mann sexuelle Beziehungen gehabt. Der Politiker hat alle Beschuldigungen vehement zurückgewiesen.

Nun scheint erwiesen, daß jener Sexvorwurf falsch und Anwar Opfer einer Verschwörung gewesen sein könnte. Dies hat große Bedeutung für die Glaubwürdigkeit der anderen Anklagen: Der Vizepremier soll mit fünf verschiedenen Männern Analverkehr gehabt haben – was in Malaysia verboten ist.

Am fünften Tag der Verhandlungen mußte der Chef der Geheimpolizei gestern zugeben, daß er schon vor einem Jahr zu dem Schluß gekommen war, es gebe keine Beweise dafür, daß Anwar Affären mit der Frau des Sekretärs und dem Mann gehabt habe. Möglicherweise steckten hinter diesen Beschuldigungen hochrangige Politiker, die Anwar zu Fall bringen wollten, so Geheimpolizist Mohamad Said Awang.

Auf Wunsch der Verteidigung las er aus einem Bericht vor, den er 1997 an Regierungschef Mahathir Mohamad geschickt hatte: „Für die Vorwürfe gibt es keine Beweise, und die Abfolge der Ereignisse scheint absichtlich herbeigeführt.“

Hintergrund jenes Untersuchungsberichts: Die Schwägerin des früheren Privatsekretärs von Anwar und ein Chauffeur hatten den Politiker bei der Polizei angeschwärzt. Daraufhin waren beide verhaftet worden, bis sie ihre Anschuldigungen zurückzogen. Mahathir hatte schließlich öffentlich erklärt, an der ganzen Sache sei nichts dran.

Als der Regierungschef seinen langjährigen Stellvertreter allerdings Anfang September dieses Jahres für „moralisch untauglich“ befand, ihn aus dem Amt jagte und bald darauf auch ins Gefängnis werfen ließ, tauchte diese Geschichte wieder auf.

Auf den dicht besetzten Zuschauerbänken beugten sich die ausländischen Prozeßbeobachter, Anwälte, Journalisten und Verwandte Anwars erstaunt vor, als der Geheimpolizeichef über die Kniffe seiner Zunft berichtete. Dazu gehöre auch das erzwungene „Umdrehen“ von Zeugen, damit sie ihre Aussagen änderten, sagte der Beamte.

„Wie das?“ wollte ein Verteidiger wissen. „Berufsgeheimnis“, antwortete Mohamad Said, der nach 30 Dienstjahren Ende des Monats in Pension geht. Auch die Anwar-Denunzianten seien auf diese Weise umgestimmt worden. „Damals wußte ich nicht“, behauptete er, „daß es illegal ist.“

Als ein Anwar-Anwalt den Polizisten am vergangenen Donnerstag fragte, ob er gegen das Gesetz verstoßen würde, wenn seine Vorgesetzten ihm dies befehlen, sagte er: „Ich würde es tun. Ich würde nicht sagen, daß ich es gerne täte.“ Ob er auf Anweisung seiner Chefs lügen würde? „Vielleicht, vielleicht auch nicht.“

Neben dem Polizisten will die Staatsanwaltschaft noch mehr als fünfzig weitere Zeugen vorladen. Dazu gehört neben mehreren Ministern auch der Regierungschef Mahathir selbst. Jutta Lietsch, Bangkok

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