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Lieber viel Macht in Berlin als wenig in Bonn

■ Nachdem Renate Künast abgesagt hat, müssen die Grünen eine andere Parteichefin suchen

Berlin (taz) – Bei den Grünen ist wieder offen, wer Jürgen Trittin im Amt des Vorstandssprechers nachfolgen soll. Gestern erklärte Renate Künast, grüne Fraktionschefin im Berliner Abgeordnetenhaus, sie werde nicht kandidieren.

Künast war in der Partei als optimale Bewerberin gesehen worden. In den Koalitionsverhandlungen in Bonn erwarb sich die Juristin Ansehen. Wie Trittin gehört Künast zum linken Parteiflügel, den sie als Pendant zur zweiten Vorstandssprecherin und „Reala“ Gunda Röstel repräsentiert hätte. Der Einfluß der beiden Parteispitzen auf Regierungsbeschlüsse wird allerdings geringer eingeschätzt als etwa der des FDP-Vorsitzenden auf die Kohl-Regierung. Der Koalitionsausschuß soll nur im Konfliktfall und bei Grundsatzentscheidungen tagen. Immerhin haben die Parteispitzen in dem Ausschuß ein gemeinsames Vetorecht, mit dem sich Beschlüsse aufschieben lassen.

Künast gab als Grund für ihren Verzicht an, sich lieber auf die Landespolitik konzentrieren zu wollen. Sie werde alles dafür tun, die derzeit in Berlin regierende Große Koalition abzulösen. Die Berliner Grünen jubelten, mit Künast stehe nun eine „Wahlkampflokomotive“ zur Verfügung. Indes wurde die Entscheidung im Bundesvorstand bedauert. Künasts Kandidatur hätte „ein paar Probleme“ gelöst, hieß es: „Es gibt wenige, die in die Fußstapfen von Jürgen Trittin treten wollen und können.“

Künast hätte einen weiteren Vorteil gehabt: Zwei Vorstandssprecherinnen hätten möglicherweise den Umstand kompensiert, daß im Bundeskabinett zwei grüne Minister und nur eine Ministerin sitzen. „Ich kann mir gut vorstellen, mit einer Frau zusammen die Führung der Partei zu übernehmen“, hatte Röstel in der taz erklärt. Da Künast weithin als starke Kandidatin galt, waren kaum andere Bewerber im Gespräch. Bei einigen ist der Fraktionschef im Düsseldorfer Landtag, Roland Appel, gehandelt worden. Appel wollte gestern nichts zu einer möglichen Bewerbung sagen.

Für eine „denkbare“ Kandidatin wird in Parteikreisen auch Barbara Steffens, Vorstandssprecherin der Grünen in Nordrhein- Westfalen, gehalten. Steffens gehört zum linken Flügel. Sie sagte gestern auf Anfrage, sie habe gedacht, daß Künast kandidiere und es „überhaupt kein Thema“ sei. Nun ist sie bereit – darüber nachzudenken. Georg Löwisch

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