: Nicht als „Ausrutscher“ abtun
■ Wenn Ehemänner plötzlich Männer lieben, gerät alles durcheinander / Interview mit Mitgliedern der Gruppe „schwuler Väter und Ehemänner“
Im Rat-und-Tat-Zentrum im Viertel trifft sich seit Jahren eine Selbsthilfe-Gruppe für schwule Väter und Ehemänner. Wir sprachen mit Wolfgang (46) aus Achim, der sich vor drei Jahren von Frau und drei Kindern getrennt hat. Seitdem lebt er mit seinem neuen Partner Erich (39) zusammen. Wir sprachen mit den beiden über das Coming-out und die Gefühle gegenüber Kindern und Ehefrauen.
taz: Schwul sein und gleichzeitig Ehemann? Wie geht das zusammen?
Wolfgang: Das ist widersprüchlich. Wir haben in der Gruppe eigentlich nur zwei Männer, die bisexuell sind. Der Rest ist im Grunde klar schwul. Viele entdecken das sehr spät und hängen dann an der Familie und an dem, was sie sich in den Jahren aufgebaut haben.
Wie ist das bei Ihnen?
Ich habe es für mich auch recht spät bemerkt und mich erstmal mit ganz viel Arbeit abgelenkt. Manche spüren es aber schon vorher und stürzen sich voll in die Ehe, weil sie denken: Dann geht das weg. Aber irgendwann kommt der schwule Anteil doch wieder durch, und irgendwann kann man das nicht länger verdrängen.
Und dann ... ?
... läßt man es zu. Bei mir fing es vor 15 Jahren an. Ich hatte irgendwie mitbekommen, wo sich „solche Leute“ treffen; zum Beispiel in Saunen oder in Kinos. Dann lernt man jemand kennen und läßt sich darauf ein. Bei mir ist es auf einer Dienstreise passiert, und ich habe es meiner Frau sofort gesagt. Sie hat es aber als einmaligen Ausrutscher abgetan – da war gerade ein Kind unterwegs – und ich habe meine Gefühle vorerst verheimlicht. Als ich sie öffentlich gemacht habe, war für meine Frau sofort klar: Gegen eine Frau hätte sie kämpfen können, aber gegen einen Mann nicht.
Sie wollten mit Ihr nicht mehr zusammen sein?
Mir war ab dem Zeitpunkt klar, daß ich schwul leben will. Aber ich habe mich erst vor drei Jahren richtig von meiner Familie getrennt, nachdem mein Vater gestorben war, und meine Mutter zu mir sagte: Jetzt lebe so, wie Du möchtest.
Ohne Schuldgefühle gegenüber der Familie?
Die Schuldgefühle brauchen nicht so groß sein, wenn ein Mann seine Frau mit einem Mann betrügt. Das ist dann irgendwie kein richtiger Betrug. Die These jedenfalls hatte ich aufgebaut, um Schuldgefühle nicht aufkommen zu lassen. Das Verhältnis zu meinem Sohn ist immer noch sehr gespalten, er war damals 16 Jahre alt und hat am meisten gelitten, meine jüngere Tochter aber auch. Sie war damals 13 Jahre alt und hat die Trennung von der Familie sehr als Liebesentzug von meiner Seite aus empfunden.
Ihr Partner Erich ist erst seit einem Jahr geschieden und war 17 Jahre kinderlos verheiratet. Erich, wie haben Sie und Ihre Frau das Coming-out verarbeitet?
Erich: Meine Frau wollte eine Selbsthilfegrupe gründen und hat alles Mögliche versucht. Aber es hat sich keine Frau gemeldet, wahrscheinlich, weil viele bald wieder einen neuen Partner gefunden haben und mit diesem Problem nichts mehr zu tun haben wollten. Oder sie kommen mit diesem Thema einfach nicht aus sich heraus – obwohl ich mir das nicht erklären kann.
Dabei könnte das einfach zu erklären sein: Sie fühlen sich plötzlich als Frau abgelehnt und schämen sich womöglich?
Klar, sie denken wohl, daß man ihnen die ganzen Jahre etwas vorgespielt hat. Aber das war bei mir nicht so. Ich war glücklich mit meiner Frau, ich kannte nichts anderes und hatte mich daran gewöhnt.
Was macht Ihre Frau jetzt?
Meine Frau hat keinen neuen Partner. Sie ist 36 Jahre alt und will nie wieder heiraten.
Dabei ist sie noch jung.
Es gibt Frauen, die fallen immer wieder auf dieselben Typen herein. Meine Frau wäre sicher eine, die nochmal auf einen Schwulen trifft. Bevor sie wieder an den Falschen gerät, sagt sie: Erstmal möchte ich nichts von Männern wissen.
Hatten Sie nie überlegt, mit Ihrer Frau zusammen zu bleiben?
Die Frauen möchten das wohl gerne. Und die Männer zuerst auch. Aber das wird spätestens dann problematisch, wenn der Mann seinen Traummann trifft. Dann ist nämlich alles zu spät. Mein Freund ist auch irgendwann auf mich gestoßen und hat gemerkt, das ist mein Mann, und hat seine Familie verlassen. Man kann sich arrangieren, wenn die Frau keinen Sex mehr haben will, und der Mann Freunde nebenbei hat. Aber sie kriegt doch alles mit. Meine Frau hat das irgendwann nicht mehr ausgehalten. Ich kann ihr nur jetzt wünschen, daß sie auf einen Heteromann stößt, den sie wirklich verdient hat.
Fragen: Katja Ubben
Gruppentreff jeden ersten Dienstag im Monat, Rat-und-Tat-Zentrum, Theodor-Körner-Str. 1.
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