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Gillian Welch

Hell Among the Yearlings (Almo/Universal ALMCD60)

Die amerikanische Hillbilly-Musik erlebt momentan eine Wiederentdeckung. Zum zweiten Mal nach Bob Dylan und dem Folk-Revival der 60er Jahre zieht eine junge Generation von Renegaten Inspiration aus den alten Klängen, die ursprünglich aus den Bergen der südlichen Appalachen stammen. Der phänomenale Erfolg der Wiederveröffentlichung der Harry-Smith- Compilation „Anthology of American Folk Music“ im CD-Format hat das intensive Interesse offenbart. Für eine kleine, unabhängige Szene, die abseits der großen Plattenindustrie agiert und sich in den USA um ihr Zentralorgan No Depression gruppiert, bietet der Rekurs auf die Vergangenheit eine Alternative zum Nashville-Sound.

Mit ihrem Debutalbum „Revival“ avancierte Gillian Welch zu einer führenden Figur dieser Szene. Seither sind zwei Jahre vergangen, und Welch hat die Zeit zum intensiven Quellenstudium genutzt. Von Mörderballaden über Katastrophensongs bis zum Talking Blues findet sich die ganze Stilpalette der Vorkriegszeit in ihrem Repertoire, und selbst ein melancholicher „Blue Yodel“ à la Jimmie Rodgers fehlt nicht.

Mit einem nostalgischen Blick zurück hat das wenig zu tun, eher mit der Suche nach unverstellten Ausdrucksformen, die in den 20er und 30er Jahren für einen kurzen historischen Moment existierten, als sich die Countrymusik noch nicht im Würgegriff der Industrie befand. Der rätselhafte Klang des Südens ist bei Welch in jedem Song präsent. Eindringliche Melodieverse, vorgetragen im näselnden Harmoniegesang zu reduzierter Gitarrenbegleitung, erzählen von den Blessuren des Lebens: Liebe, Niedertracht, Gewalt und Tod.

Greil Marcus hat in der Musik von Dock Boggs, einem der eindrucksvollsten weißen Songsters der 20er Jahre, ein „Brodeln“ ausgemacht, „das unwiderstehlich und zugleich schemenhaft ist wie Religion“. Wegen Dock Boggs hat sich Gillian Welch ein Banjo gekauft.

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