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Archaische Wiederkehr des Gleichen

■ „Echtes“ Schauspielertheater: Sam Shepards „Liebestoll“ im Brauhauskeller

Kann Theater konkurrieren mit Film im Allgemeinen, mit der Schmollmundigkeit Kim Basingers und der Schmallippigkeit Sam Shepards in Altmans kitschig-genialer „Fool of love“-Verfilmung im Besonderen? Warum Konkurrenz? Munter nimmt Regisseurin Kira Scheffel eine kleine Anleihe auf bei der Suggestivität des Kinos: Eine ziemlich geniale Videoinstallation läßt uns mit zenbuddhistischem Gleichmut aus dem Fahrerfenster eines LKW blicken. Mit rasender rockunterstützter Geschwindigkeit geht es voran. Doch bei den eintönigen Straßen von New Mexico sieht das einem Stillstand zum Verwechseln ähnlich. Nur die utopische Unendlichkeit der Horizontlinie springt auf dem Rollo, auf dem der Film projeziert ist, alle paar Sekunden eine Lamelle noch oben und dann wieder hinunter – wie Sysiphos' Stein.

Nietzsches ewige Wiederkehr des Gleichen zieht ihre Kreise aber nicht nur draußen in der wüstenhaften Welt, sie nistet auch im zugrundegerosteten Rosa-Hellblau-Eiapopeia eines world's-end-Motel. Darinnen: Eddie und Halbschwester May. Eddie lebt wie ein Gefangener dem wankelmütigen Lebensmuster seines Vaters hinterher. Will heißen: Eine Zeit lang spielt er mit seiner Schwester die große, ewige, unerschütterliche Inzestliebe, um dann blitzschnell überzuwechseln ins Rollenschema des frei vagabundierenden lonesome cowboy. Als solcher schnappt man sich zwischendurch eben irgendeine adelige Schnalle – zum Zeitvertreib.

Nun ist er also bei Stückbeginn wieder mal reumütig angerückt bei May, hat extra einen Abstecher von 2480 Meilen von seiner LKW-Route gemacht. Doch die erotische Triebkraft hinter solch biographischen Um- und Abwegen ist in der Bremer Inszenierung nur sehr bedingt spürbar. Die Protagonisten werfen sich sehr viel öfter gegenseitig dröhnend gegen die Blechwände, als daß sie sich einfach nur mal sehnsüchtig in die Augen sehen würden. Für Berührungen fehlt hier fast gänzlich der Mut. Das einzige Mal, wo Leidenschaft sich Raum bricht und May den abhauwilligen Eddie panterartig anspringt, verkommt Intensität zu einer kabarettistischen Einlage.

Das Gros des Premierenpublikums zeigte sich im Schlußtosen absolut begeistert. Wer es aber nicht so gerne hat, wenn ihm jede Emotion wie auf dem Serviertablett unter die Nase gerieben wird, der hat mit dieser Inszenierung Probleme. Mit Thomas Ziesch und Susanne Schrader mußte Kira Scheffells mit gefährlich geradlinigen, antagonistischen Typen arbeiten: Hier der tumb-kraftstrotzende Prolet, der als Füll- und Ausfluchtswort bezeichnenderweise nur zwischen „Ne“, „Nene“ und „Neeee“ wählen kann. Dort das fragile Mädchen, das sich wacker, aber erfolglos der Seelenorkane des Bruders erwehren will. Einmal muß Ziesch minutenlang mit verschrankten Armen posen und heftig den Brustkorb heben und senken. Solches praktiziert nicht mal der klassische Steintorkneipengänger. Jean-Claude van Damme zum Beispiel, Zieschs konstitutionelles Dependant aus miesen Actionfilmen, hält Auge, Mund und Atem nüchtern, wenn Worte Markigkeit behaupten. Und schon Schwarzenegger war erfolgreich nicht trotz seiner darstellerischen Armut, sondern wegen ihr.

Umgekehrt wird Schrader in Momenten der Angst zu Pipi-Langstrumpf-X-Beinstellung genötigt. Und nicht die allerletzte Dorfschlampe würde so fingerzeigig ungeschickt sich als Vamp verkleiden. Wenn Mays Beklommenheit eh schon stickig den ganzen Raum erfüllt, muß sie auch noch mit zurückgeschobenem Kinn und Unterlippe ihren Text duplizieren. Man kann das kunstvoll finden. Man kann sich aber auch ein bißchen mehr Vertrauen auf die natürliche Ausstrahlungskraft von Worten und Körpern wünschen.

Und auch Stimmeinfärbungen verorten Satz für Satz messerscharf psychologisch - bis er wie ein aufgespiester Schmetterling in einer Typensammlung Platz findet. Nur wenn Schrader lakonisch von den bösen Erinnerungsbildern im Kopf erzählt, bleibt diese Haßliebe in der Schwebe. Shepards Hang zur Trivialität immerhin ist so gut herausgearbeitet.

In „True West“ erzählt der erfolgreiche Autor die Geschichte von zwei Drehbuchschreibern, die ihrerseits größte Erfolge erringen mit ihrer Simulation von Tough-Guy-Outcast-Authentizität. Immerhin ein hellsichtiges Stück Selbstkritik. Denn auch in Sheperds eigenen Dramen bleibt der gefährliche, ganze Familien niedermetzelnde Traum vom freien Leben in Kitschmustern gefangen.

Natürlich sind es in „Liebestoll“ die Männer, deren ach so erhabene Zerrissenheit, die Welt in ach so erhabenes Leid stürzt. Natürlich sind es die Mütter und Töchter, die dabei draufzahlen. Natürlich hat die familiäre Vorgeschichte eine unentrinnbare verherende Sogkraft vom Ausmaß antiker Tragödien. Und natürlich sind Prols ihrer archaischen Eifersucht hemmungslos ausgeliefert. Eine Vor-Woody-Allensche-Welt, in der es die Berufsgattung des Psychiaters noch nicht gibt. Das ist „echter“ Naturalismus des 19. Jahrhunderts. B.Kern

14., 15., 19., 22. 25. 28. November, je 20.30h

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