Sicherungsobjekt Fernsehturm

Verblichene Akten, Geruchsproben und alte Dienstanweisungen: Die Gauck-Behörde weiht ein Informations- und Dokumentationszentrum über die aufgelöste Stasi ein  ■ Von Wolfgang Gast

Berlin (taz) – Geruchsproben, Nachtsichtgeräte und jede Menge Fälscherwerkzeug: Das gestern eröffnete Informations- und Dokumentationszentrum Berlin bietet alles, was ein aufgelöster Geheimdienst zu bieten hat. Vergilbte Akten mit den Verpflichtungserklärungen Inoffizieller Mitarbeiter gibt es zu sehen, auch Einsatzbefehle, die für den sogenannten Spannungsfall die Internierung Oppositioneller vorsahen, aber auch Unterlagen, die den völligen Realitätsverlust der Führung des Ministeriums für Staatssicherheit im Herbst 1989 belegen.

„Es ist eine Illusion zu glauben, das Problem der Stasi-Akten ließe sich dadurch erledigen, daß man einen riesigen Betondeckel über sie legt“, gibt der Bundesbeauftragte für die Stasi-Hinterlassenschaft, Joachim Gauck, der Eröffnung des neuen Dienstzweiges seiner Behörde mit auf den Weg.

Allerlei Prominenz ist bei der Einweihung zugegen, darunter Bundespräsident Roman Herzog und auch der neue Innenminister Otto Schily. Er hatte sich vormittags den Mitarbeitern seines Amtes in Berlin vorgestellt, um dann am Nachmittag bei der kleinen Eröffnungsfeier bei Gauckens vorbeizuschauen. Schily freut sich, „am neunten Jahrestag der Maueröffnung die Grüße der neuen Bundesregierung überbringen zu dürfen“. So wie der Regierende Bürgermeister in Berlin, Eberhard Diepgen, und wie der neue Staatsminister im Kanzleramt, Rolf Schwanitz, ist Schily voll des Lobs für die Arbeit der Behörde, die seit ihrer Gründung 1,25 Millionen Anträge auf Akteneinsicht sowie 2,3 Millionen Anträge auf Überprüfung und Rehabilitierung abgearbeitet hat. Von einem Beitrag für die „Festigung der Demokratie und das Zusammenführen unseres Volkes“, spricht der Innenminister. Doch Schily wäre nicht Schily, würde er nicht hinterherschieben, daß sich die Stasi-Akten-Behörde „in absehbarer Zeit einer aufgabenkritischen Prüfung unterziehen“ müsse.

Die Ausstellung selbst ist ein Lehrstück des Weges in einen alles kontrollierenden Überwachungsstaat. Vom 17. Juni 1953 über den Prager Frühling bis zum Zusammenbruch der DDR 1989 zeichnet die Ausstellung die Geschichte des MfS nach. Akten aus den verschiedenen Perioden zeigen, wie die Überwachung und Zersetzung der eigenen Bürger funktionierte. Ein Kapitel ist der Verfolgung von Dissidenten wie dem Autor Jürgen Fuchs noch nach deren Ausbürgerung gewidmet. Für viele überraschend dürfte die Abteilung Zusammenarbeit mit westdeutschen militanten Linken sein. Dort finden sich Auszüge aus den Aussagen des früheren Mitglieds der Bewegung 2. Juni, Bommi Baumann. Nahezu unbekannt ist, daß Baumann einst bei der Durchreise durch die DDR wochenlang von der Stasi inhaftiert wurde. Eher skurril wirkt der Report zum „Sicherungsobjekt Fernsehturm“. Am 3. 10. 1969 wurde er eingeweiht – über 110 IM waren am Bau des Funkturms beteiligt.

Staunen dürfte auch ein heutiger Mitarbeiter des Springer-Verlages. Er wird mit dem Decknamen „IM Mathias“ in der Ausstellung in der Mauerstraße aufgeführt. Der Mann war 1973 aufgesucht worden, weil er angeblich vom Fluchtversuch eines Verwandten gewußt haben soll. Aus der Begegnung entstand eine intensive Zusammenarbeit, die bis Mitte Dezember 1989 andauerte. Die letzten Zeilen, die der Führungsoffizier niederschrieb, sind typisch: „Bei dem Treff am 15. 12. 1989 wurde der IM von der gegebenen schriftlichen Verpflichtung entbunden.“ Ihm sei auferlegt worden, über Arbeit und Methoden zu schweigen. „Der IM ist daran sehr interessiert und bat zu sichern, daß unsererseits keine Hinweise bekannt werden.“