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Bruttobelastung der Koalition

■ Die geplante Ausweitung der Nettoentlastung der Steuerzahler von weiteren fünf Milliarden Mark tragen die Grünen zwar offiziell mit. Der Zuschlag kommt nach ihrem Geschmack allerdings allzusehr der Wirtschaft zugute

Die CDU höhnt, die Grünen sind entsetzt, selbst bei der SPD gibt es Unmut über den neuen Referentenentwurf zur Steuerreform, der gestern veröffentlicht worden ist. Im Mittelpunkt der Kritik steht die Ausweitung der Nettoentlastung der Steuerzahler bei der Einkommensteuer von 10 auf 15,3 Milliarden Mark. Am Freitag soll die Steuerreform in erster Lesung im Bundestag behandelt werden Der neue Entwurf sieht nun vor, zur Finanzierung der Reform Steuervergünstigungen in Höhe von rund 42 Milliarden Mark zu streichen, von denen bisher vor allem die Wirtschaft profitiert hat. Dem stehen bis zum Abschluß der Reform im Jahr 2002 Steuererleichterungen durch die Senkung der Steuersätze in Höhe von 57 Milliarden Mark gegenüber.

Für Arbeitnehmer und Unternehmen ergibt sich wegen des zeitlich ungleichen Verlaufs der einzelnen Maßnahmen im Rechnungsjahr 2000 eine Entlastung von 2,3 Milliarden, 2001 eine Belastung von 1,6 Milliarden und 2002 eine Entlastung von 15,3 Milliarden Mark.

Die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Ingrid Matthäus- Maier befürchtet, daß aufgrund der erhöhten Nettoentlastung von 15,3 Milliarden Mark nun Länder und Gemeinden die Zeche zahlen müssen. Wenn die nun mehr Lehrer und Polizisten fordern würden, werde das nicht gehen.

Bisher galt bei SPD und Grünen als ausgemacht, daß die Steuerreform solide finanziert werden müsse. Insbesondere die Grünen wollten ursprünglich eine aufkommensneutrale Steuerreform, d.h., die Ausgaben sollten die Einnahmen nicht übersteigen. Sie bezweifeln, daß die Rechnung: Nettoentlastung gleich mehr Arbeit, mehr Wachstum und mehr Steuereinahmen, aufgeht. Schon die zehn Milliarden Mark hatten die Grünen nur nach dem Prinzip „Glaube, Liebe, Hoffnung“ zugestimmt. Den Nachschlag um weitere fünf Milliarden Mark tragen die Grünen zwar offiziell mit, nicht aber aus Einsicht, sondern nach dem Motto: „Friß, Vogel, oder stirb“. Den Grünen sei nichts anderes übriggeblieben, weil Bundeskanzler Schröder bei der Wirtschaft im Wort stehe, mehr für sie zu tun. Der Zuschlag bei der Nettoentlastung kommt dementsprechend überwiegend der Wirtschaft zugute. So ist etwa beim Verlustrücktrag, d. h. die Verrechnung von Verlusten mit vormaligen Gewinnen, eine Übergangsfrist vorgesehen. Außerdem soll bei der brisanten Mindestbesteuerung zwischen aktiven und passiven Einkunftsarten unterschieden werden. Aktive, also insbesondere mittelstandsbezogene Tätigkeiten sollen von der Mindestbesteuerung ausgenommen werden. Betroffen bleiben passive Einnahmen, also solche aus Vermietung, Verpachtung und aus Kapitalvermögen.

Der haushaltspolitische Sprecher der Grünen, Oswald Metzger beklagt zwar ebenfalls ein „eindeutiges Ungleichgewicht zu Lasten der Wirtschaft“, will aber Verbesserungen für die Wirtschaft durch Einsparungen in anderen Bereichen wieder hereinholen. So streben die Grünen eine drastische Streichung der Kilometerpauschale an und wollen auch die Landwirte mehr zur Kasse bitten.

Die CDU kritisiert, daß die Steuerreform nur auf Druck von außen erheblich verändert worden sei. Der psychologische Effekt eines großen Wurfes, der die Wirtschaft entlaste, sei damit verschenkt worden. Selbst in den Reihen der SPD wird nun von einem Verlust der Glaubwürdigkeit gesprochen. „Wir haben die Union immer wegen ihrer Nettoentlastung kritisiert“, sagt ein Finanzexperte, „da können wir uns jetzt nicht in ihre Nähe bewegen.“ Die alte Koalitionsregierung hatte zunächst eine Nettoentlastung von 30 Milliarden Mark geplant und dann der SPD einen Kompromiß von zehn Milliarden Mark vorgeschlagen. Nach der Bundestagswahl hatte insbesondere Finanzminister Oskar Lafontaine eine erhebliche Nettoentlastung mit dem Hinweis auf die drastische Haushaltssituation abgelehnt. Die Haushaltsrisiken waren auf weit über 20 Milliarden Mark beziffert worden.

SPD und Grüne rätseln nun, wie die 15 Milliarden wieder hereingeholt werden können. Als eine Möglichkeit wird eine Neuverschuldung angesehen. Bundeskanzler Schröder hatte Finanzminister Lafontaine dazu bereits öffentlich ermächtigt. Der verfassungsmäßige Spielraum beträgt allerdings nur 1,3 Milliarden Mark, weil die Summe der Neuverschuldung die der Investitionstätigkeit des Staates nicht überschreiten darf. Markus Franz, Bonn

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